Montag, Juli 17, 2006

Vorwort von Pater C.E. Schmöger C.ss.R. zum Werk "Emmerick-Visionen" 6. Folge

7. Aus den angeführten Stellen erhellet zur Genüge, warum die heiligste Jungfrau die ganze Zeit der Kindheit bis zu ihrer von Gott bestimmten und durch wunderbare Zeichen herbeigeführten Vermählung mit dem heiligen Joseph in der Verborgenheit des Tempels verweilte. Es brachte dieß nicht nur die unbeschreibliche Heiligkeit und Reinheit mit sich, in der sie empfangen und geboren war, und für die es keinen würdigeren Ort auf Erden geben konnte, als das Haus Gottes, das Er selber zu seiner Wohnung sich erkoren hatte, sondern auch ihre ewige Vorherbestimmung zur Mutterschaft des Sohnes Gottes, auf welche sie so würdig sich zu bereiten hatte, daß sie verdiente, als der Inbegriff und Gipfel aller Tugenden, als die einzige makellose Lilie unter den Dornen und als die des höchsten Wohlgefallens Gottes einzig würdigste Jungfrau zur Mutter seines Eingeborenen erhöhet zu werden. Über diese geheimnißvollen Ursachen der Opferung des Kindes Maria im Tempel und ihres eilfährigen Verweilens daselbst, enthält auch die "Mystische Stadt Gottes" der seligen Maria von Agreda sehr bedeutsame Aufschlüße, aus denen einzelne Aushebungen hier um so mehr ihre Aufnahme finden mögen, da sie die Mittheilungen der gottseligen Anna Katharina in bemerkenswerther Weise bestätigen und ergänzen und im Zusammenhalte mit den früheren Anführungen aus den alten griechischen Schriftstellern, zugleich den klaren Beweis liefern, in welcher Übereinstimmung die Gesichte beider begnadigten Seelen sowohl zu einander, als auch mit der ganzen Überlieferung und den Aussprüchen der Heiligen aus viel älterer Zeit sich befinden. Wie der Leser im weiteren Verlaufe sich noch überzeugen wird, herrscht dieselbe Übereinstimmung der Gesichte der gottseligen Anna Katharina auch mit den Offenbarungen der heiligen Brigitta.
Die selige Maria von Agreda (Mystica Ciudad de Dios. 1736. p. I. 1.2. c. 1 & 2.) berichtet:

"Unter den Vorbildern der heiligsten Jungfrau im alten Bunde war keines von so ausgeprägter Deutlichkeit, wie die Bundeslade, und zwar sowohl in Hinsicht des Stoffes, aus dem sie verfertiget war, als in Hinsicht ihres Inhaltes und ihrer ganzen Bedeutung für das Volk Gottes, sowie auch alles Dessen, was Gott mittelst der Arche, oder um ihretwillen und durch sie in der alten Synagoge gethan und gewirkt hat; denn dieses Alles war ein Vorbild unserer Herrin Maria und eine sehr deutliche Hinweisung auf Alles, was in Maria und durch Maria für die neue Kirche des Evangeliums geschehen sollte.
Das unverwesliche Cedernholz, aus welchem die Lade, nicht etwa zufällig, sondern nach der ausdrücklichen Vorschrift Gottes zusammengefügt wurde, ist die klare Hindeutung auf Maria, welche als die geistliche Bundeslade ganz rein und sündelos und unberührt ist von der geheimen Fäulniß der Erbschuld und des mit ihr untrennbar verbundenen Zunders der Begierlichkeit. Das im Feuer geläuterte, feinste Gold, womit die alte Lade innen und außen überzogen war, deutet eben so klar und bestimmt auf die höchste Vollkommenheit und Erhabenheit der Gnade und der Gaben, welche in den Gottes würdigen Gedanken, Werken, Sitten und Tugenden der heiligsten Jungfrau erglänzet, so, daß an dieser neuen Bundeslade, von innen wie von außen, kein Theilchen, keine Zeit, kein Augenblick zu finden ist, das nicht mit Gnade, und zwar mit Gnade von der höchsten Würdigkeit voll und überdeckt gewesen wäre".
"Die steinernen Gesetztafeln, das goldene Gefäß mit Manna, die wunderbare Ruthe Aarons, was Alles in der Bundeslade eingeschlossen und bewahrt wurde, deuteten auf's Klarste auf das fleischgewordene Wort, welches in der lebendigen Arche, d. i. im Schoße der heiligsten Jungfrau Maria eingeschlossen wurde. Es ist ja ihr Eingeborner der lebendige "Grundstein der Kirche", und der "Eckstein", welcher die beiden so weit getrennten Völkerschaften, Juden und Heiden, vereiniget, der Stein, welcher, vom Berge der ewigen Zeugung sich losreißend, als das neue Gesetz der Gnade, das der Finger Gottes auf ihn geschrieben, in der jungfräulichen Arche Maria niedergelegt wurde, auf daß diese höchste Königin von Allen als die Bewahrerin Dessen erkannt werde, was Gott sowohl in sich selber ist, als was Er an seinen Geschöpfen bewirken wollte".
"In gleicher Weise enthielt Maria das Manna der Gottheit, der Gnade und Macht, und die Wunder und Zeichen wirkende Ruthe, auf daß nur allein in ihr, als der Gottes würdigen geistlichen Arche, der Urquell der Gnaden, nämlich die Wesenheit Gottes selbst sich finde, und von ihr aus auf die übrigen Sterblichen sich ergieße; daß in ihr und durch sie die Wunder und Zeichen des Armes Gottes gewirkt werden, und Alle erkennen, wie Alles, was dieser unser Herr will, ist und wirket, in Maria eingeschlossen und niedergelegt sei."
"Die alte Bundeslade hatte außerdem, und zwar nicht bloß nur im Schatten, oder figürlich, sondern in Wahrheit und Wirklichkeit, auch den Schemel und die Unterlage für den Gnadenthron zu bilden, auf welchem Gott den Sitz und Richterstuhl seiner Barmherzigkeit aufgeschlagen hatte, um von ihm herab sein Volk anzuhören, auf die vor Ihn gebrachten Anfragen zu antworten, die Bitten zu erhören und Gnaden auszutheilen. Jetzt aber ist von Gott aus allen seinen Geschöpfen nur allein Maria zum Throne seiner Gnade erhoben, so daß nun sie nicht allein die wahre geistliche Bundeslade, sondern auch zugleich der Gnadenthron ist, indem sie ja dazu erbauet wurde, um Gott selbst in sich zu beherbergen. Sonach erscheint das Tribunal der Gerechtigkeit als in Gott verbleibend, der Gnadenthron aber und der Sitz der Barmherzigkeit als auf Maria übertragen, damit wir zu ihr als dem Throne der Gnade mit festem Vertrauen unsere Zuflucht nehmen und vor ihr um Gaben, Gnaden und Erbarmungen unsere Bitten ausgießen, welche außerhalb dieses Gnadenortes (der Königin des Weltalls), nicht erhöret und nicht zu Gunsten der Bittenden beschieden werden."
"Maria, als die mit so hohen Geheimnissen erfüllte, geheiligte und von der Hand Gottes selbst zu seiner Wohnung und zur Begnadigung seines Volkes erbaute Bundeslade, konnte nicht außerhalb des Tempels verbleiben, in welchem ihr Vorbild, die nur aus Holz bestehende Lade, bewahrt wurde. Und darum fügte es Gott, der Erbauer der so wunderbaren geistlichen Arche, daß Maria nach Ablauf des dritten Jahres seit ihrer gnadenreichsten Geburt in sein Haus und in seinen Tempel gebracht wurde. Für sterbliche Augen freilich nicht mit königlicher Pracht, wie es ihr als der Königin der Barmherzigkeit gebührt hätte, sondern auf den Armen von Joachim und Anna, welche, obwohl nicht arm, ihr geliebtes Kind aus Demuth nicht mit Prunk und Aufsehen nach dem Tempel geleiten wollten. Die wahre und eigentliche Hoheit der Übertragung der geistlichen Arche, dieser Erfüllung des Vorbildes, blieb unsichtbar, weil in Gott verborgen, wie überhaupt die Geheimnisse der allerseligsten Jungfrau so erhaben und unerreichbar sind, daß gar Vieles davon noch heute wie damals, unbekannt ist, gemäß dem unerforschlichen Rathschlusse Gottes, der für Alles und Jedes Zeit und Stunde sich vorbehalten hat."
"Die heiligen Eltern Joachim und Anna machten sich von Nazareth aus, nur von wenigen ihrer Verwandten begleitet, auf die Reise nach Jerusalem, um ihr heiligstes Kind, die wahre und lebendige Arche des Bundes, auf den mütterlichen Armen Anna's in den Tempel zu bringen. In der Sehnsucht feurigster Liebe eilte das lieblichste Kind "dem Wohlgeruche der Selbung ihres Geliebten" (Hohes Lied 1, 3) entgegen, Ihn im Tempel zu suchen, den sie im Herzen trug. Diese demüthige Prozession zog, von den Erdebewohnern nur wenig beachtet, und ohne allen sichtbaren Glanz ihres Weges; aber es umschwebte sie eine glänzende Schaar der englischen Geister, welche zur Feier dieses Festes in größerer Zahl vom Himmel gekommen waren, als die ihrer Schutzengel war, welche für gewöhnlich ihre jugendliche Königin umgaben. Unter neuen Lob- und Preis-Gesängen in himmlischen Weisen gaben sie der heiligen Prozession das Geleite von Nazareth bis zur heiligen Stadt Jerusalem. Die Königin der Himmels, welche ihre Gott wohlgefälligsten Schritte der Betrachtung des Allerhöchsten, des wahren Salomon, entgegen richtete (Hohes Lied 7, 1), sah und hörte sie alle; die seligsten Eltern aber empfanden hohe Freudigkeit des Geistes und Trost im Herzen."
"Vor dem Tempel angelangt, führte die heilige Anna ihr Kind und zugleich ihre Herrin, an der Hand durch die Vorhöfe; der heilige Joachim gab ihnen voll Sorgfalt sein hilfreiches Geleite. Im Tempel selber aber goß diese glückseligste Dreizahl voll Andacht ihre feurigsten Gebete vor Gott aus: die Eltern, Ihm ihr Kind als Opfer darbringend; das Kind aber in tiester Demuth, Anbetung und Ehrerbietung sich selbst zum Opfer weihend. Dem Kinde allein ward es offenbar, wie wohlgefällig sein Opfer von Got an- und aufgenommen wurde; denn es hatte aus dem himmlischen Glanze, der nun den Tempel erfüllte, die Stimme zu vernehmen; die sprach: 'Komme, meine Braut, meine Auserlesene, komme zu meinem Tempel, wo Ich will, daß du Mich lobest und preisest!' Nach vollendetem Gebete standen sie auf und gingen zu dem Dienst thuenden Priester, dem die Eltern ihr Kind Maria üergaben und der darüber Gebete sprach. Darnach begleitete er mit den Eltern das Kind nach der Wohnung der Tempeljungfrauen, die hier in Abgeschiedenheit zur Gottseligkeit erzogen wurden, bis sie die Reife des Alters für Verehlichung erlangt hatten. Es waren vornehmlich die erstgeborenen Töchter aus dem königlichen Stamme Juda und aus dem priesterlichen Stamme Levi, welche sich hieher zurückzuziehen pflegten."
"Der Aufgang zu dieser gemeinschaftlichen Wohnung hatte fünfzehn Stufen, über welche herab andere Priester entgegen kamen, Maria, das gebenedeite Kind, zu empfangen. Der Priester aber, der das Kind führte und es zuerst von den Eltern empfangen hatte, geleitete es auf die erste Stufe, wo das Kind ihn bat, von seinen Eltern Abschied nehmen zu dürfen. Dann wendete es sich zu Joachim und Anna, bat sie knieend um ihen Segen und küßte ihnen die Hände mit der Bitte, ihrer vor Gott im Gebete eingedenk zu bleiben. In tiefster Rührung und unter reichlichen Thränen nahmen die heiligen Eltern segnend von ihrem Kind Abschied. Maria aber eilte, ohne umzublicken und ohne eine Zähre zu vergießen, in heiligstem Eifer und voll Freudigkeit allein die fünfzehn Stufen hinan. Es war an ihr weder ein Zeichen irgendwelchen kindischen Wesens, noch einer Traurigkeit über die Trennung von ihren Eltern wahrzunehmen; im Gegentheil riß sie durch ihre an so zartem Alter ganz ungewöhnliche Hoheit und Lauterkeit Alle zur Bewunderung hin".
"In der Wohnung der Tempeljungfrauen wurde das Kind von dem hl. Simeon, als dem Vorsteher derselben, den bejahrten Wittwen übergeben, welche hier die Dienste der Lehrerinnen zu versehen hatten. Unter diesen befand sich die Prophetin Anna, welche im voraus von Gott einer besonderen Gnade und Erleuchtung gewürdiget worden war, um die Sorge für die Tochter Joachims und Anna's auf sich zu nehmen. Sie that dieß also auf göttliche Anordnung; da sie durch ihre Heiligkeit und ihre Tugenden die Gnade verdient hatte, Jene zu ihrer Schülerin zu haben, welche die Mutter Gottes und die Lehrmeisterin aller Creaturen werden sollte."
"Joachim und Anna kehrten in tiefstem Schmerze nach Nazareth zurück, indem sie die volle Größe ihres Opfers empfanden, das sie mit der Hingabe ihres kostbarsten Schatzes gebracht hatten. Gott aber flößte ihnen Stärke und Tröstung des Geistes ein. Der heilige Simeon wußte freilich nicht, welche Geheimnisse in dem Kinde Maria beschlossen waren; doch empfing er von Gott viele Erleuchtung über ihre Heiligkeit und Auserwählung; auch die andern Priester konnten sie nur mit hoher Ehrfurcht betrachten. Das Aufsteigen des heiligsten Kindes über die Stufen wurde zur eigentlichen und vollkommenen Efüllung des Gesichtes des Patriarchen Jakob von der Himmelsleiter; denn auf jenen Stufen stiegen Engel auf und nieder, jene zum Geleite, diese zum Empfange ihrer Königin; in der Höhe aber war Gott selbst, um seine Tochter und Braut bei sich aufzunehmen, der seine Liebe zu erkennen gab, es sei hier in Wahrheit die Wohnung Gottes und die Pforte des Himmels."
"Das Kind Maria warf sich vor seiner Meisterin demüthig auf die Kniee, bittend um den Segen, und daß sie unter ihre Leitung wolle genommen und zum Gehorsame gegen alle Weisungen und Rathschläge angehalten werden, auch möge sie in Geduld die Sorge und Mühe auf sich nehmen, die sie mit ihr haben werde. Sie begrüßte auch in großer Demuth alle anderen Jungfrauen, nannte sich ihre Dienerin und bat sie, als die älteren und erfahrenern, sie in allen Stücken zu unterweisen, ihr zu befehlen oder sie zu mahnen und dankte ihnen letztlich, daß sie, obwohl dessen unwürdig, in ihre Reihen habe eintreten dürfen. Nun empfing sie, wie auch die Anderen hatten, eine kleine Zelle zur Wohnung, bei deren Betreten sie den Boden küßte. Alles, was sie von den Eltern mitbekommen hatte, übergab sie ihrer Meisterin, um es für Andere zu verwenden; sie selber aber wollte als die ärmste behandelt und im Gehorsam zu den niedrigsten und beschwerlichsten Arbeiten verwendet werden."
"Das heiligste Kind Maria hatte auch das Verlangen, die vier Gelübde der Armuth, des Gehorsams, der Keuschheit und der beständigen Clausur abzulegen. Dieß Verlangen war Gott im höchsten Grade wohlgefällig, und sie verdiente dadurch, daß in der Kirche und im Gesetze der Gnade der Ordensstand begründet wurde, in welchem durch dieselben Gelübde Jungfrauen sich Gott verbinden. In den Gelübden des heiligsten Kindes Maria ist also der Grund zum Ordensstande gelegt worden, gemäß den Worten des königlichen Sängers: "Ihr nachfolgend werden Jungfrauen zu dem Könige geführt". (Psalm 44, 15.)

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