Die folgende Erweckung eines Toten durch Don Bosco bringen wir in der Darstellung seines Biographen Joh. B. Lemoyne, der jahrzehntelang mit dem Heiligen zusammen gelebt hat und der wichtigste Zeuge für sein Leben ist (Der sel. Don Johannes Bosco, erster Band B, München 1927, S. 492-95).
Ein Knabe von fünfzehn Jahren, namens Karl, der regelmäßig das Oratorium des heiligen Franz von Sales (ein Tagesheim für Jugendliche bei den Salesianern Don Boscos) besuchte, wurde schwer krank, und binnen kurzem lag er im Sterben. Er wohnte in einem Speisehaus und war der Sohn des Wirtes. Der Arzt erkannte die Gefahr und riet den Eltern, sie möchten den Kranken zum Beichten auffordern. Schmerzerfüllt fragten sie den Sohn, welchen Priester sie rufen sollten. Der Kranke zeigte großes Verlangen nach seinem gewöhnlichen Beichtvater, Don Bosco. Sogleich wurde nach dem Diener Gottes geschickt, aber zum großen Leidwesen erhielt man die Nachricht, daß er zur Zeit nicht in Turin sei. Dies betrübte den Knaben sehr; er verlangte nun nach dem Kaplan, der auch sogleich kam. Anderhalb Tage darauf starb er, nachdem er noch oft nach Don Bosco gefragt und verlangt hatte, mit ihm sprechen zu dürfen.
Als der Ehrwürdige zurückkehrte, teilte man ihm mit, daß öfter nach ihm geschickt worden sei; jener ihm wohlbekannte Knabe liege im Sterben und habe ihn aufs dringendste sprechen wollen. Don Bosco beeilte sich hinzugehen, 'denn', sagte er, 'vielleicht ist es noch Zeit' . Im Trauerhause traf er zuerst auf einen Diener, bei dem er sich gleich nach dem Befinden des Kranken erkundigte.'
Sie kommen zu spät', war die Antwort; 'vor etwa zwölf Stunden ist er gestorben!' Don Bosco erwiderte lächelnd:
'Ei, er schläft und Ihr glaubt, daß er gestorben ist?!'
Der Diener schaute ihn erstaunt und spöttisch an; der Ehrwürdige aber fuhr halb scherzhaft fort:
'Willst du eine Pinte mit mir wetten, daß er nicht tot ist?'
Bei diesen Worten brachen die anderen Hausbewohner, die inzwischen herbeigekommen waren, in lautes Weinen aus und versicherten, daß Karl leider Gottes nicht mehr am Leben sei. Don Bosco sagte:
'Soll ich es glauben? Gestattet mir, daß ich ihn sehe.'
Sogleich wurde er in das Zimmer geführt, wo Mutter und Tante in der Nähe des Dahingeschiedenen beteten. Der Leichnam war schon zum Begräbnis angekleidet, und nach damaliger Sitte war er in ein Leintuch, das man zusammengenäht hatte, eingehüllt und mit Flor bedeckt; nicht weit vom Bett brannte eine Kerze. Don Bosco trat näher und dachte dabei: 'Wer weiß, ob er seine letzte Beichte gut verrichtet hat! Wer weiß, welches Los seiner Seele jetzt beschieden ist!' Und er wendete sich zu dem, der ihn hereingeführt: 'Geh bitte hinaus und laß mich allein!'
Sodann verrichtete er ein kurzes, aber inbrünstiges Gehet, segnete den Knaben und rief zweimal mit gebieterischer Stimme: 'Karl, Karl! Steh auf!'
Bei diesem Ruf begann der Tote sich zu bewegen. Don Bosco verbarg sogleich das Licht, zerriß mit einem starken Ruck die Naht des Leintuches, damit der Knabe unbehindert wäre, und deckte sein Gesicht auf. Wie aus tiefem Schlafe erwachend, öffnete der Wiedererwachte nun die Augen und wendete sich um; dann richtete er sich etwas auf und sprach:
'O! ... wie komme ich auf dieses Bett?'
Dann wandte er sich um, und sein Blick fiel auf Don Bosco. Kaum hatte er ihn erkannt, so rief er aus:
'O, Don Bosco! Ach, wenn Sie wüßten! Ich habe Sie so sehnlich erwartet! Sie habe ich gesucht ... Ich brauche Sie dringend. Gott hat Sie mir geschickt ... 0, das ist recht, daß Sie gekommen sind und mich aufgeweckt haben!'
Der Ehrwürdige sprach:
'Sage nur, was du von mir willst; deinetwegen bin ich hier.'
Darauf sagte der Knabe:
'Ach, Don Bosco, ich müßte jetzt eigentlich am Orte der Verdammnis weilen. Als ich das letzte Mal beichtete, wagte ich nicht, eine Sünde zu bekennen, die ich vor einigen Wochen begangen hatte ... Es war ein Kamerad, der schlechte Reden führte ... Ich hatte nun einen Traum, der mich sehr erschreckt hat: Es träumte mir, ich wäre am Rand eines ungeheuren Hochofens und flüchtete vor vielen Teufeln, die mich verfolgten und ergreifen wollten. Schon waren sie daran, sich auf mich zu stürzen und mich ins Feuer zu werfen, da trat eine edle Frau zwischen mich und jene häßlichen Untiere und sprach: 'Wartet; er ist noch nicht gerichtet!' Nach einer Zeit ängstlichen Harrens hörte ich Ihre Stimme, die mich rief, und ich erwachte; und jetzt möchte ich beichten.' Die Mutter war schon gleich zu Anfang, erschrocken und tief bewegt von dem, was sie sah, mit der Tante auf einen Wink Don Boscos hinausgegangen, um die Familie zusammenzurufen. Der arme Knabe hingegen faßte wieder Mut, weil er die Ungeheuer nicht mehr zu fürchten brauchte, und begann nun mit dem Ausdruck einer wahren Reue sofort seine Beichte. Während Don Bosco ihn lossprach, kehrte die Mutter mit den Hausbewohnern zurück, die auf diese Weise Zeugen des Vorfalls wurden. Karl rief, zu seiner Mutter gewendet: Don Bosco rettet mich vor der Hölle!'
So blieb er etwa zwei Stunden bei vollständig klarem Bewußtsein; nur war sein Leib die ganze Zeit über so kalt wie vor dem Erwachen, obgleich Karl sich bewegte, umschaute und sprach. Unter anderem sagte er zu Don Bosco wiederholt, er möchte den jungen Leuten angelegentlich stets Aufrichtigkeit in der Beichte empfehlen.
Der Ehrwürdige fragte ihn zuletzt:
'Du bist jetzt im Gnadenstande: der Himmel steht dir offen. Willst du hinaufgehen oder hier bei uns bleiben?'
Er antwortete: 'Ich will in den Himmel gehen.'
Und Karl ließ den Kopf auf das Kissen zurücksinken, blieb mit geschlossenen Augen regunglos liegen und entschlief im Herrn.
Man darf nun nicht glauben, daß der erzählte Vorfall in der Stadt großes Aufsehen erregt hätte. Don Bosco hatte bei dem ganzen wunderbaren Ereignis sein schlichtes und anspruchsloses Wesen nicht abgelegt, ja, er hatte sogar behauptet, der von ihm wieder ins Leben zurückgerufene Knabe sei überhaupt nicht tot gewesen, die politische und durch den Krieg verursachte Erregung in den ersten Monaten jenes Jahres zerstreute und beschäftigte die Gemüter zu sehr, als daß man sich um anderes viel gekümmert hätte. Auch war die Familie bestrebt, alles zu vermeiden, was dem Andenken des geliebten Toten schaden könnte; sie sprach daher über den Vorfall nicht zu Fremden, und auch gegen die Nachbarn schwieg man sich von Anfang an aus.
Dennoch wurde die Geschichte unter den Kameraden des Verstorbenen ruchbar und erhielt sich im Oratorium als sichere Tatsache unwidersprochen lange Jahre hindurch. Man kannte die Lage und das Schild des fraglichen Wirtshauses, Vor- und Zunamen des Knaben, die Staatsangehörigkeit der Familie und ihre mehrjährige Freundschaft mit Don Bosco.
Der erzählte Vorfall wurde von außerhalb Piemonts bekannt. Im Jahre 1858 trat der Diener Gottes seine erste Reise nach Rom an, und zwar in Begleitung des Klerikers Michael Rua, der damals Subdiakon war. Bei dieser Gelegenheit machte Rua die Erfahrung, daß der obenerzählte Vorfall auch vielen Römern bekannt war. Im Jahre 1862 saß er – damals schon Priester – bei Tisch und sprach zu seinem Nachbarn davon. 'Don Bosco', so erzählt die Chronik des Oratoriums, 'hatte in geringer Entfernung von ihm seinen Platz, schenkte aber trotzdem der Erzählung seine Aufmerksamkeit; wir sahen, wie er ganz rot wurde. Auf einmal wendete er sich zum Erzähler und unterbrach ihn mit gedämpfter Stimme:
'Schweig', sagte er, 'ich habe nie gesagt, daß ich es war; keiner braucht es zu wissen.'
In der Tat erzählte der Ehrwürdige den Vorfall mehr als fünfzigmal seinen Knaben im Oratorium und unzählige Male in anderen Häusern, aber sich erwähnte er dabei nie. Er nannte weder Namen noch Örtlichkeit und vermied sorgfältig alles, was ihn beteiligt erscheinen lassen konnte. Immer brachte der Diener Gottes die Geschichte in derselben Weise vor, ohne je etwas zu ändern oder hinzuzfügen, obwohl manchmal die Rührung seine Stimme fast erstickte: Man sah, daß er bei dem Ereignis anwesend gewesen war, weil es einen so tiefen Eindruck bei ihm hinterlassen hatte.
Einmal aber verriet er sich doch, ohne daß er es bemerkte. Im Jahre 1882 erzählte er die Geschichte den jungen Leuten des Kollegs in der Vorstadt Sankt Martin, nachdem die Abendgebete verrichtet worden waren. Mitten im Bericht änderte er die Erzählungsweise und ging von der dritten Person zur ersten über: 'Ich trat ins Zimmer ... ich sagte zu ihm ... er antwortete mir ...' und so fuhr er eine geraume Zeitlang fort, bis er zum Schluß wieder in der dritten Person sprach. Der Verfasser war hierbei zugegen. Die Salesianer sahen sich einen Augenblick bedeutungsvoll an, die Jünglinge hingen erstaunt und begeistert an seinem Munde. Als der Ehrwürdige geendet hatte, schritt er durch ihre Reihen, um sich auf sein Zimmer zu begeben. Während sich alle um ihn drängten, sah man an seinem Blick und aus seinen Worten, daß er von dem, was vorgefallen war, keine Ahnung hatte; es wagte auch keiner, ihn darauf aufmerksam zu machen, um nicht seine Demut zu beleidigen.
Aus: "Auferweckungen vom Tode" - Aus Heiligsprechungsakten übersetzt von (Pfr.) Wilhelm Schamon i, 1968, im Selbstverlag des Verfassers. S. 118ff. - Erstmals erschienen in «DAS ZEICHEN MARIENS», 23. Jahrgang, Nr. 2, Juni 1989, Seiten 7217/7218.
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