Samstag, Juni 24, 2006

Das Januarius-Blutwunder in Neapel

Schon war in Rom die Reisegesellschaft nach Neapel gefunden, der Vertrag mit dem Vetturin bereits geschlossen, der Tag der Abfahrt festgesetzt, als die Fürstin Wolkonski mir bemerkte: "Sie kommen zur günstigen Stunde nach Neapel, Sie werden das Blut des heiligen Januarius sehen, versäumen Sie doch nicht dieses Wunder." - Nun von dem Blut des hl. Januarius hatte ich schon viel gelesen und ebensoviel von allen den Manipulationen, welche angewendet würden, um es zum Fließen zu bringen. Daß es noch zu anderer Zeit gezeigt werde, als während der Oktav seines Festes, im September, das wußte ich nicht. Die Nachricht der Fürstin war mir daher sehr erwünscht. Ich ging somit, wie ich es nachher jedermann erklärt hatte, nach Neapel, in Bezug auf diese Sache ohne Glauben und ohne Unglauben, aber doch in der Erwartung, irgend einer versteckten Vorkehrung zu begegnen, welche auch der genauesten Beobachtung sich zu entziehen wisse. Vorherrschend war allerdings der Wille zu sehen, zu beobachten, und zwar, so es immer möglich wäre, genau zu sehen, dabei vorgefaßte Meinung möglichst ferne zu halten. Stand hier die lange Erfahrung, so stand dort das Zeugnis so mancher Reisebeschreiber, beide gegenseitig sich aufwägend. Jedenfalls konnte ich mich am wenigsten von der Vermutung losmachen, die Sache in ein solches Helldunkel gehüllt zu finden, unter welchem dieselbe, bei allen zufällig darüber ziehenden Streiflichtern, immer noch in hergebrachtem Ansehen erhalten, demnach in vollkommen gleicher Berechtigung mit dem Glauben auch der Zweifel könnte geltend gemacht werden.
Es war Samstag nachmittas, den 4. Mai, als das Blut des hl. Januarius in großer Prozession aus der Domkirche nach der Kirche von St. Clara beleitet wurde, wohin schon am Vormittag das Haupt des Heiligen gebracht worden war. Bei den Empfehlungen, womit ich versehen war, und den Verwendungen meines Freundes und Landsmannes, des Herrn Abbé Eichholzer, fiel es nicht schwer, innerhalb der Schranken um den Hochaltar meinen Platz zu finden. Zunächst, aber außerhalb derselben, fanden sich zwei Bänke, mit Frauen aus der untern Volksklasse angefüllt, welche in gellendem Ton aus voller Kehle unablässig schrien. Wie widerwärtig anfangs die Sache mir schien, so überzeugte ich mich doch bald, daß sie mit dem Ave Maria, mit dem Vaterunser, der Lauretanischen Litanei und ähnlichen Gebeten wechselten. Es waren diejenigen, welche, als Abstämmlinge von der Amme des heiligen Januarius, oder, wie andere sagen, aus seinem Geschlecht, seit urdenklichen Zeiten diesen Ehrenplatz und das Ehrenrecht des schreienden Gebets innehaben, und hierauf ebenso stolz sind, als ein Adeliger auf seine Ahnen, Titel und Befugnisse; daher sind sie auch beflissen, jenes Recht mit gleicher Sorgfalt auf ihre Nachkommen zu verpflanzen.
Es mag draußen Dämmerung gewesen sein, als das Glockengeläute das Herannahen der Prozession in die lichtstrahlende, menschenvolle Kirche ankündigte. Die lebensgroßen silbernen oder reichvergoldeten, auch wohl mit Edelgesteinen besetzten Brustbilder von sechsundvierzig Heiligen zogen voran, am Hochaltar vorüber, auf welchem die Überreste des Blutzeugen und Landesvertreters in ein von Diamanten, Smaragden und ähnlichen Edelsteinen funkelndes Brustbild eingeschlossen standen. Jeder der sich nahenden Heiligen wurde von den Frauen mit einem Gebet begrüßt und, je nachdem derselbe ihrem Herzen näher stand, ward das Schreien lauter und gellender, hatte es förmlich den Ausdruck, als wollten sie das Himmelreich mit Gewalt und Ungetüm an sich reißen. Aber auch hier bot sich mir alsbald der Beweis wieder dar, wie grundlos die Anschuldigung sei, als würde über den Geschöpfen der Schöpfer, über den Erlösten der Erlöser, über den Heiligen der Quell der Heiligkeit vergessen; denn jedem den Heiligen gebrachten Hochruf (als solches klang die Begüßung) und dem Ora pro nobis folgte immer das Gloria Patri et Filio et Spiritui Sancto. Also auch hier dem Heiligen die Anerkennung, dem Dreimaleinen allein die Ehre!
Endlich kam, in eine Art Monstranz eingefügt, das Fläschchen mit dem Blut und wurde auf die Epistelseite des Altares gestellt. Ich drängte mich diesem so nahe als möglich, und fand zwischen schaulustigen Gesichtern und foppenden Bocksbärten noch Raums genug, um den ganzen Hergang mit der genauesten Aufmerksamkeit zu beobachten. Anfangs wollte es mir als Nichtachtung des Schicklichkeitsgefühls vorkommen, daß eine Handlung, die eine eminent religiöse sein sollte, unter einem solchen bis zu den obersten Stufen des Altars und dicht an die Seite des Priesters sich vordrängenden Gehäufe von Neugierigen und gewiß auch Frivolen sollte vorgenommen werden. Nachher aber ward es mir klar, daß die Möglichkeit, den Vorgang mit der größten Genauigkeit, ohne alle Rücksicht auf Gesinnung und Zweck, beobachten zu können, nicht nur nicht sollte beschränkt, sondern in dem größten Umfang eingeräumt werden. Sind es doch immer Fremde, die am ersten Tage der Ausstellung des Blutes innerhalb der Schranken des Altares ihre Stelle suchen. Welches deren Absicht auch sei, die so nahestehende Anschuldigung: es sei nicht von dem Flüssigwerden des Blutes zu reden, niemand könne sich nahen, Täuschung des Fernestehenden sei leicht möglich, sollte beseitigt werden. Und in der Tat, gegen vierzig Personen standen dicht um den Gegenstand, daß es für diese alle keines scharfen Auges bedurfte, um den Hergang mit der möglichsten Aufmerksamkeit zu beobachten.
Ein Priester hob nun das Gefäß, worin die Fläschchen enthalten sind, aus der Monstranz, ein anderer stand neben ihm mit einer brennenden Wachskerze, von nicht größerem Durchschnitt, als der dritte Teil eines Zolles, gerade hinreichend, um über die gläserne Einfassung des Fläschchens genugsames Licht zu verbreiten; zudem ward die Kerze so gehalten, daß zwischen ihr und dem Gefäß noch immer Zwischenraum genug blieb, um den Verdacht von einwirkender Wärmeausstrahlung aus der schwachen Flamme von vornherein zurückzuweisen. Dem gegenüber ist dann viel gesprochen und bereitwillig geglaubt worden von der Manipulation des Priesters, durch dessen warme Hände, in Verbindung mit der Temperatur der Kirche, der in dem Fläschchen enthaltene Stoff endlich flüssig werden müsse. Alle, die solches behaupten, haben entweder dieses Flüssigwerden nicht gesehen, oder, wenn sie es gesehen haben, und dennoch von einer solchen Manipulation sprechen, sind sie die schändlichsten Lügner, welche wissentlich etwas vorgeben, was sich durchaus anders verhält, wovon nicht einmal eine Spur vorhanden ist.
Dasjenige Fläschchen, in welchem der Stoff, welcher flüssig werden soll, sich befindet, ist versiegelt, und niemand, der das Siegel betrachtet, wird behaupten, es sei neueren Ursprungs. Die Fläschchen selbst stehen in einem Gefäß - in Gestalt eines kleinen Handlaternchens - auf der Vorder- und Rückseite mit einem Glas versehen; zwischen ihnen und den beiden Gläsern ist aber ein leerer Raum, im Durchmesser eines Fingers. Unter diesem einschließenden Gefäß ist ein metallener Stil, etwa 13 cm lang, zur Handhabe dienend, und über demselben ein metallenes Krönchen, oben mit einem Kreuz versehen. Mittelst des erstern wird es in die Monstranz eingeschraubt. Der dichte Stoff, von bräunlicher Farbe, füllt das Hauptfläschchen nicht ganz, sondern es bleibt von demselben bis zur Mündung ein leerer Raum, etwa 1/3 des Fläschchens ausmachend. Der Priester faßt nun mit der einen Hand den Stil, mit den Fingerspitzen der andern den obersten Teil des Kreuzchens und geht damit an dem Altar hin und her, um es den Anwesenden zu zeigen, wobei er, nicht das Fläschchen, sondern das ganze Gefäß wiederholt umkehrt, der andere aber mit dem kleinen Licht leuchet, um jeden zu überzeugen, daß der Stoff sich in festem Zustand befindet. Eine andere Bewegung habe ich den Priester nie machen gesehen; selbst von der leisesten Berührung des Glases, hinter welchem immer noch frei und in leerem Raum das Fläschchen stünde, geschweige denn von einer Manipulation, kann gar nicht die Rede sein. Eine Berührung des Fläschchens aber wäre physisch unmöglich.
Während das Gefäß öfters gewendet wurde und der darin enthaltene Stoff fest blieb, sang der Chor das MISERERE und das Athanasianische Glaubensbekenntnis. Lauter und inbrünstiger beteten die Frauen die Lauretanische Litanei, die Versammlung schloß sich an die Gebete an. Zwischenhinein erhoben jene mit dem Ausdruck des heißen Verlangens, ja des Ungestüms, ihre Stimmen sonst noch. Ich konnte aber nichts verstehen, weil sie in neapolitanischem Dialekt ihrem Herzen Luft machten. Eine etwelche Bewegung der Ungeduld zeigte sich dennoch durch die Versammelten; denn bald eine Viertelstunde lang hatte der Priester das Gefäß gewendet, und immer noch zeigte sich der Stoff in seinem festen Zustande. Endlich warf er einige leichte Bläschen, und plötzlich war er zerronnen, die Flüssigkeit füllte das Fläschchen, welches zuvor den oben bemerkten leeren Raum gezeigt hatte. Sobald der Prieser das erfolgte Wunder ankündigte, schallte, von der Menge angestimmt, das Te Deum durch die Hallen der Kirche; der Priester aber fuhr fort, das Fläschchen mit der flüssiggewordenen Materie zu zeigen, drückte es jedem auf Stirne und Brust und reichte es zum Küssen dar.

Das ist der getreue Bericht meiner Beobachtungen an jenem Samstagabend. Ich könnte auf alles, was ich hier mitteile, jeden Augenblick den Eid ablegen: daß ich anderes, als was ich mit meinen Augen gesehen habe, nicht berichte, das was ich aber gesehen, so beschreibe, wie ich es gesehen habe.

Am folgenden Vormittag fand ich mich frühzeitig genug in der Kapelle des heiligen Januarius ein, wo das Flüssigwerden wieder vor sich gehen sollte. Diesmal konnte ich noch näher, noch genauer beobachten. Wieder wurde das Miserere angestimmt, und die auf den Knieen liegende Menge harrte mit Ehrerbietung und freudigem Erwarten, die Augen nach dem Altar gewendet. Mit dem Bischof von Lancaster und einem General-Vikar aus Kanada stand ich auf dessen oberster Stufe, unmittelbar neben dem Priester, welcher das Gefäß in den Händen hielt. Er behandelte es auf vollkommen gleiche Weise, wie der andere Priester am Abend vorher. Mehr als einmal hielt er mir dasselbe unter die Augen, und ich überzeugte mich von der vollkommenen Dichtigkeit und Festigkeit des Stoffes, so wie man bei gesunden Augen und klarem Bewußtsein von irgend einer Sache nur immer sich überzeugen kann. Jetzt so wenig, als am Abend vorher, fand auch nur von Ferne eine andere Berührung des Gefäßes statt, als in der oben beschriebenen Weise. Diesmal jedoch dauerte es nicht so lange, bis der Stoff flüssig wurde. Es mochten kaum fünf Minuten vergangen sein, als die Bläschen zum Vorschein kamen, die Masse vollkommen zerrann, das Fläschchen sich wieder gefüllt hatte, da zuvor ein ähnlicher leerer Raum zu sehen gewesen. Wieder ergoß sich die dichte Menge, welche die Januariuskapelle und außer derselben einen Teil der Domkirche gefüllt hatte, in das Te Deum.
Nachdem ich dann am folgenden Tage bei hellem Sonnenlicht, auf den Stufen des Altares, dicht an der Seite des Priester, den ganzen Hergang nochmals von Anfang bis zu Ende und mit gleichem Vorsatz bloß prüfen zu wollen, beobachtet hatte, da sah ich keinen zureichenden Grund mehr, mit meinem Urteil zurückzuhalten, oder durch hervorgesuchte Wenn und Aber dasselbe zu verklausulieren, oder es in die Schwebe zu stellen, oder an der richtigen Wahrnehmungsfähigkeit meiner Sinne zu zweifeln; sondern, wo ich befragt wurde, oder wo das Gespräch auf diese Sache sich lenkte - was zu Neapel in den der Ehre des Heiligen gewidmeten Tagen so selten nicht ist - äußerte ich mich: etwas Wunderbares, wenigstens Unerklärliches, könne hier selbst vom Ungläubigsten, so er nur redlich und aufrichtig sein wolle, nicht geleugnet werden.

Die Bollandisten haben bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts mit der genauesten Skrupulosität sich bemüht, nicht nur die schriftlichen Zeugnisse und Berichte über diesen Vorgang aus allen Zeiten zu sammeln, sondern wiederholt an Ort und Stelle alles zu erforschen und zu beobachten. Schon im Jahre 1661 reisten Henschen und Papebroch deswegen nach Neapel, und waren am 10. März in Gegenwart mehrerer Personen Zeugen der Sache. Beinahe 100 Jahre später kam der Bearbeiter der Akten über den hl. Januarius in gleicher Absicht dahin, und am 21. August 1754 wurde in Gegenwart der zum Schatz Verordneten (mehrerer Herren vom höchsten Adel) vieler Geistlicher und anderer angesehener Männer durch den Erzbischof das Blut aus der Nische genommen und eine Akte über dessen Verwahrung und Hervornahme aufgesetzt und unterzeichnet. In dieser heißt es: "Die ehrwürdigen Überbleibsel werden mit der größten Vorsicht (summa cautela) verwahrt; die Schreine sind aus Werkstücken von Marmor in die Mauer gebaut, durch zwei Türen, jede in- und auswendig mit Silberblech beschlagen, verschlossen. Jede Türe hat zwei Schlösser und zwei verschiedene Schlüssel; zwei derselben verwahrt der Erzbischof, zwei ein zu der Deputation Verordneter (aber mit öfterem Wechsel der Person durch das Jahr). Blut und Haupt zugleich werden des Jahres nur dreimal, das letztere allein wird an mehreren hohen Festen hervorgenommen. Der Erzbischof sendet alsdann einen Delegierten, der Verordnete findet sich in Person ein, und Zeugen geistlichen und weltlichen Standes sind immer viele anwesend. Würden aber die Verordneten nicht zur bestimmten Stunde sich einfinden, so wäre es unmöglich, die Überbleibsel hervozunehmen."

Man kennt die Sorgfalt, womit die Christen das Blut der Märtyrer unter allem Toben der Heiden und selbst unter dem Henkersschwert, und wären es auch nur Tropfen desselben gewesen, oder hätten sie nur Tücher in dasselbe tauchen können, auffaßten, selbst mit Erde von der Richtstätte vermischt, es zusammenrafften.
Der heilige Januarius nun war Bischof von Benevent, und wurde in der Christenverfolgung unter Diokletian im fünften Jahre des 4. Jahrhunderts mit einigen Gefährten nach Pozzuoli geschickt, um im dortigen Amphitheater den wilden Tieren vorgeworfen zu werden. Seine Leidensgeschichte erzählt uns, daß diese besänftigt zu seinen Füßen sich gelegt hätten, worauf der Richter, hierob noch wütender geworden, Befehl zu seiner Enthauptung gegeben habe. Bei dieser faßte eine gottesfürchtige Frau sein Blut in zwei Fläschchen auf, in das eine das reine und unvermischte, in das andere mit Erde vermengt. Unter Kaiser Konstantin dann wurden die Gebeine des Blutzeugen von Pozzuoli nach seiner Geburtsstätte Neapel gebracht und in der durch den hl. Bischof Severus zu seiner Ehre (außerhalb der Mauern) erbauten Kirche beigesetzt. Die Frau, welche sein Blut aufbewahrt hatte, brachte dem Bischof die Fläschchen, und sowie diese dem Haupte nahegebracht wurden, erhielt es seine Flüssigkeit wieder. Im 9. Jahrhundert belagerte Sicon, Fürst von Benevent, die Stadt Neapel, wobei er vor allem darauf achtete, daß niemand die heiligen Überreste wegtrage; denn er glaubte, dieselben gehörten dem Bischofssitz, nicht dem Geburtsort des Blutzeugen. Nachdem er die Stadt eingenommen und die Gebeine erhoben, brachte er sie unter großem Frohlocken nach Benevent. In den stürmischen Zeiten König (Kaiser) Friedrichs II wurden sie in die Abtei Monte-Vergine geflüchet und so heimlich unter dem Hochaltar eingemauert, daß bei zweihundert Jahren niemand etwas davon wußte. Im Jahr 1480 sollte ein neuer Hochaltar gebaut werden, da wurden sie entdeckt und im Jahr 1497 mit großer Freierlichkeit wieder nach Neapel gebracht. Das Haupt indes, nebst dem Blut, war immer in Neapel geblieben. ...

Der Autor des vorstehenden Berichts, Friedrich von Hurter, geb. 1787, gest. 1865, war ursprünglich protetantischer Stadtfparrer zu Schaffhausen, konvertierte 1844 in Rom zur katholischen Kirche; seit 1846 Hofhistoriograph in Wien. Der Bericht ist um einiges gekürzt und sprachlich der neueren Orthographie angepaßt worden.
(Aus: Hurter, Friedrich. Geburt und Wiedergeburt. Erinnerungen aus Italien. Bd. 3, 1845)
Für "Das Zeichen Mariens" von Alice Stöcklin

Dienstag, Juni 20, 2006

Teresa Higginson, die große Stigmatisierte Englands - 2

Fortsetzung des Ersten Teils:

Teresa Higginson war als Tochter einer englischen Konvetitin geboren, deren Bekehrungsgeschichte ebenso überraschend wie interessant ist. Mit mehreren Kusinen nach Rom gekommen, hatte diese in einer der Kirchen Roms einen englischen Priester getroffen, der die kunstbegeisterten Damen in liebenswürdiger Weise durch die Bauten und Denkmäler der Ewigen Stadt führte. Dem Theologen ihre Abneigung gegen alles Katholische und besonders den Jesuitenorden bekundend, war Miss Bowness - so war der Mädchenname von Mistress Higginson - außerordentlich erstaunt, in der Person ihres zuvorkommenden Führers selbst einen Priester der Gesellschaft Jesu zu erblicken. Ihre Vorurteile gegen den Katholizismus schwanden schnell dahin und - Miss Bowness wurde katholisch! Es war ein Akt heroischen Opfermutes, denn ihre Konversion bedeutete die sofortige Verstoßung aus ihrer Familie! Darauf einen trefflichen englischen Katholiken heiratend, wurde sie Mutter von acht Kindern. Und unter ihnen befand sich als drittes Teresa Higginson, die am 27. Mai 1844 zu Gainsborough in der Grafschaft Lincoln das Licht der Welt erblickte.
In härtester Abgeschiedenheit der Diaspora und unter ungünstigsten Verhältnissen aufgewachsen, wurde sie schon seit frühester Jugend mit auffallenden Gnadenerweisen überschüttet, die das ebenso lebhafte wie zarte und oft kränkliche Kind auf den hohen Beruf vorbereiteten, der ihrer harrte. Erstaunliches wäre schon aus ihren ersten Lebensjahren zu berichten, Tatsachen, die uns zeigen, wie der Wille Gottes auch in einem ganz überwiegend protestantischen Lande katholische Heilige, ja Mystiker zu erwecken vermag! Deutlicher trat dann ihr Gnadenleben hervor, als sie, nach zehnjähriger Erziehung in der Klosterschule zu Nottingham, durch die plötzliche Verarmung der Familie gezwungen, den Lehrerinnenberuf ergriff. Einen Beruf, den sie trotz häufiger Schwäche und Erkrankung in zäher Ausdauer bis zu ihrem Tode ausübte. Gerade aber die durch ihn bedingte Lebensweise ermöglichte es, daß ihre Kolleginnen schon in ihren ersten Berufsjahren jene auffallenden Zustände zu beobachten vermochten, die sich mehr und mehr bei ihr einstellten. Bald als Ekstasen und erstaunliche Gesichte erkannt, gesellten sich ihren Gaben schwere diabolische Anfechtungen hinzu, für deren Tatsächlichkeit wir die besten Zeugnisse besitzen. Zudem merkte man, daß sie lange Zeit ohne Nahrung und ohne Trank zu leben vermochte und daß sie verschwindend wenig schlief und ihre einzige Lebenskraft aus der heiligen Kommunion zu nehmen schien. Kurzum, es war eine Fülle mystischer Tatsachen, die sich bereits damals bei ihr zeigten, und die ihrer Umgebung reichlich zu denken gaben. Dabei war Teresa, wie Augenzeugen dem Verfasser berichtehn ein ganz heiterer und froher Mensch, der ob seiner ungezwungenen Natürlichkeit die Herzen aller gewann, ja der etwas Anziehendes in sich trug, das sich niemand näher erklären konnte. Um so mehr erregten ihre merkwürdigen und auffallenden Zustände schon den Ansturm der Hölle. Mit Anwürfen der Verstellung und Heuchelei überschüttet, durfte die schwächliche, bescheidene Lehrerin bald in der Diözese Liverpool nicht mehr unterrichten. Sie fand dafür nach mancherlei Wechsel ein Unterkommen in der Klosterschule zu Edinburgh, die zum Bistum Birmingham gehört. Und hier wußte die verständige Oberin dafür zu sorgen, daß von ihren merkwürdigen Zuständen so wenig wie möglich an die Öffentlichkeit drang.
Schon in der Pfarrschule zu Wigan, wo sie ab 1872 beschäftigt war, wurde sie von Gott mit immer größerer Zielsicherheit auf den Weg des vertrauten Umganges mit Ihm und zur mystischen Vereinigung geführt. Die Ekstasen der in strengster Abtötung Lebenden wurden häufiger und häufiger. An äußeren Gaben traten die Bilokation und Herzenskenntnis hinzu; ferner die Gnadengabe der Prophetie; u.a. sagte sie den Weltkrieg voraus und daß man in der Luft und unter dem Wasser kampfen werde.
Inzwischen aber war bereits bei ihr jenes Phänomen hervorgetreten, das sie (unseres Wissens) zur ersten Stigmatisierten ihres Vaterlandes werden ließ, - eine Tatsache, die uns in unserem Zusammenhange entscheidend interessiert: In der Karwoche des Jahres 1874 erlebte sie zum ersten Male die Passion Unseres Herrn in ekstatischer und umfassender Weise; zwei ihrer Kolleginnen waren Zeugen derselben und schrieben den Verlauf ihrer Leiden mit aller Genauigkeit auf. Hierbei trifft sie zugleich in überraschender Weise die Einprägung der Wundmale des Gekreuzigten. Bereits am Freitag der Passionswoche, also acht Tage vor Karfreitag, empfing sie die Stigmata. Sofort bat sie inständig den Herrn, ihr die Wundmale wieder zu nehmen; aber die Zeichen der Passion Christi hielten bis zum Karfreitag bei ihr an, an welchem Tage Pater Wells, ihr damaliger Seelenführer, noch eines der Stigmen sah, während die anderen am Morgen desselben Tages verschwunden waren. Aber bei einer anderen Gelegenheit öffneten sich die Male erneut. Dazu wurden die betreffenden Stellen der Sitz starker Schmerzen. Teresa Higginson schreibt selbst darüber: "In der Mitte der Hände, an den Füßen, am Kopfe und am Herzen waren sie zeitweise außerordentlich groß, aber ich empfand stets eine Linderung, wenn sie bluteten, was aber nicht sehr häufig geschah. Ich habe auch einen heftigen Schmerz auf den Schultern. Ich schäme mich, es Schmerzen zu nennen, denn ich weiß, daß es überaus großen Ganden sind, die ich niemals verdient, mit denen ich auch nichts zu tun habe. Sie sind alle dein, o mein Gott, wie all die Gnaden dein waren, die du mir gewährt hast. Ich wußte anfangs nicht, was die Ursache dieser Gnaden sei, aber vor ungefähr zehn oder zwölf Jahren merkte ich, daß sie an Freitagen, an Festen unseres Herrn und während der Fasten stets schlimmer wurden. Ich habe aus ihnen stets große, geistige Stärkung und Segen geerntet. Oft, wenn ich fühlte, daß ich meine arme menschliche Natur in keiner Weise mehr ertragen konnte, habe ich diese Stellen gepreßt, wie wenn sie Quellen des Lebens für mich wären, und ich war dann stets imstande, es zu ertragen. Ich glaube, daß mir der Heiland große Hilfe gewährte, wenn ich so tat."
Miss Ryland, ihre Kollegin, die auf dem gleichen Zimmer mit ihr wohnte, gibt einen genauen Bericht über alles das, was sie an ihr zur Zeit dieser Leiden wahrnahm. Zunächst schildert sie den Empfang der Dornenkrone, dann, wie Teresa am folgenden Morgen die bereits am Freitag empfangenen Stigmata zu verbergen suchte, sich aber durch das Blut, das sich an ihrem Handtuche fand, verriet und wie die Erscheinungen jeden Morgen erneut auftraten. Miss Ryland fährt fort: "Am Karfreitag gingen wir zur Morgenandacht und ließen Miss Higginson im Bett und die Haustür verschlossen. Als wir zurückkamen, liefen wir beide sofort hinauf zu ihr und fanden sie auf dem Bett ausgetreckt. Sie hielt ihre Arme in Form eines Kreuzes, und an ihren Händen waren Wunden. Ich ging wie gewöhnlich nicht zu nahe heran. Ich sah eben noch, wie Miss Woodward die Kleider von dem unteren Ende des Bettes zurückzog, um zu sehen, ob die Füße ebenso wären; da lief ich fort, um Pater Wells zu holen. Er kam. Sie lag noch immer so und er sagte zu mir: "Laufen Sie schnell zum Arzt." Ich ging, und als ich in Begleitung des Dr. Hart zurückkam, war sie wieder in natürlichem Zustand und sprach mit Pater Wells. Dr. Hart fand sie außerordentlich schwach, aber er konnte wie Pater Wells sagte, nicht erkennen, was ihr fehlte."
Den schweren Prüfungen der Stigmatisation folgte noch im gleichen Jahre (1874) die mystische Verlobung und schließlich die mystische Vermählung (am 23. Oktober 1877/78), also höchste Stufen der Gottvereinigung.
Aber all diesen Gnaden schienen sie nur in besonderer Weise auf die eigentliche Mission ihres Lebens vorzubereiten. So wie er einst einer hl. Gertrud und einer Margarete Alacoque durch den Anteil an seinen Leiden die innere Kraft und Glut gegeben, in ihrer Zeit für die Wiedererweckung der Gnadenkärfte der Erlösung in ganz bestimmter Art das Ihre zu tun, so sollte offenbar auch sie als Trägerin der Wundmale Christi und als Mitdulderin seiner Passion das innere Rüstzeug empfangen, in ganz eigener Weise an der religiösen Erneuerung ihres Vaterlandes und unserer modernen Zeit mitzuwirken! Von Gott in schmerzensreicher Ekstase der Erkenntnis seiner unendlichen Liebe zu uns Menchen gewürdigt, schien sie um so tiefer und nachhaltiger zum Apostel seiner erhabenen Absichten berufen zu werden. Und hier stoßen wir auf jenen Punkt ihres Entwicklungsganges, den sie selbst als eine erhabene Aufgabe ihres Lebens bezeichnet hat und den wir um der historischen Treue willen wenigstens kurz hier erwähnen müssen: auf die ihr - nach ihren mannigfaltigen Aussagen - gewordene Mission der Verehrung des hl. Hauptes Unseres Herrn, die sie geradezu als Krönung der Herz-Jesu-Verehrung bezeichnete, jenes "Hauptes als Sitz der göttlichen Weisheit", in dem der Herr am meisten für das Heil der Seelen gelitten und dessen unermeßliche Leiden sie als Mitdulderin der Dornenkrone und seiner Todesangst so recht in aller Tiefe ermaß. (Anklänge hieran finden wir auch bei Katharina Emmerich.)
Schrecklich war - um nur eine ihrer prophetischen Visionen hier anzuführen -, was der Herr seiner Dienerin Teresa über die Endzeit der Kirche und die damit zusammentreffenden "Tage des Hochmutes, des Eigenwillens, der Auflehnung gegen die Kirche und des intellektuellen Hochmutes" offenbarte - und um so tröstlicher war, was er über den Sieg der Verehrung seines hl. Weisheit sagte:
"Ware es nicht im Gehorsam, ich würde es nie wagen, die schreckensvollen Dinge zu beschreiben, die mir gezeigt wurden..."
"Ich weiß nicht, wie und wohin ich gebracht wurde, aber es schien mir, ich sei auf einem hohen Platze und sah auf die Erde hinab. Zuerst sah ich eine Wolke von Finsternis die Erde umfassen, eine wirkliche, dichte, materielle Finsternis, die, wie ich auch verstand, dazu noch die Geistesverfinsterung darstellte, in die sich der Mensch selbst gestürzt hatte. Dann hörte ich das Dröhnen mächtigen Donners und sah den Blitz leuchten, und es schien mir, wie wenn Bälle von Feuer auf die Erde fielen und sie in ihrem Mittelpunkte trafen, Felsen in Trümmer zersplitternd. Und ich hörte das Rauschen von Wassern, und schreckliches Trauerklagen stieg von der Erde herauf. Und indem ich mich demütig niederwarf, flehte ich duch das kostbare Blut und das bittere Leiden Jesu Christi um Gnade, denn durch dieses Dunkel konnte man deutliche Sterne auf dem Grunde der Erde blitzen sehen (die heiligen Tabernakel seiner Liebe), und ich bat Gott, nicht auf uns zu schauen, sondern auf das Angesicht seines Sohnes. Und ich hörte eine mächtige Stimme sagen: "Ich will dieses Volk nicht retten, denn sie sind Fleisch. Bitte mich nicht in seinem Blute, denn sein Blut ist über ihnen."
"Ich kann nicht sagen, wie lange dieses dauerte, denn ich hatte ebenso sehr Angst wie ich niedergedrückt war. Dann aber hörte ich eine Stimme, und ich wußte ganz bestimmt, es war die unseres lieben Herrn und Heilandes Jesus Christus, welche sprach: "Sage, daß nicht eines von diesen, die mir gegeben sind, verloren gehen soll." "Dann hörten die Erdbeben auf, und die Blitze erloschen, und ich gewahrte ausgehungerte, wahnsinnig blickende Gestalten, wie sie sich wankend auf ihre Füße erhoben, und ich sah das Zeichen auf ihren Stirnen, und mit ihnen und dem ganzen Hofe des Himmels pries und lobte ich jenen Gott der unendlichen Weisheit, der in seiner Barmherzigkeit uns in seinem Blute erlöst hat."
"Das Zeichen, das die Stirn der Geretteten zeichnet, ist die Weisheit, deren Sitz (das Haupt), wie Er sagt, öffentlich verehrt werden wird. Nach diesen Schrecken wird, wie ich gewahrte, ein großer Friede folgen. Wenn diese Dinge vorüber sein werden, werden sehr wenige übrig sein, die nicht ein Siegel auf der Stirn haben, doch werden diese dazu gebracht werden, die Weisheit des Vates anzubeten und den Hl. Geist, der in den Herzen und im Geiste seines Volkes wohnt. Die Kirche wird sich eines großen Friedens und der Ruhe freuen, und Gott wid angebetet, geliebt und erkannt werden, und man wird ihm dienen in der Wahrheit und der Tat."
Noch viele herrliche Visionen und Offenbarungen, die der Herr Teresa gegeben, müßten wir hier verzeichnen, um dem Leser die ganze Größe und Erhabenheit der Erleuchtungen vor Augen zu führen, die Gott seiner Dienerin - und damit auch der Welt - geschenkt hat. Genug, daß die ihr nahestehenden Personen und Priester diese mit erschütternder Klarheit begriffen.
Wichtig aber erscheint es bei der Fülle ihrer Offenbarungen, uns das nüchterne und klare Urteil vor Augen zu führen, das ihr Seelenführer, Pater Snow, über diese im Laufe jahrelanger Beobachtungen und Untersuchungen gewonnen hat und das sich auch die zuständige bischöfliche Behörde zu eigen machte. Derselbe schreibt u.a.: "Seit Benedikt XIV. in seiner Abhandlung über die Heiligsprechung sagte, daß man großes Gewicht auf die Meinung des Seelenführers, des Dieners Gotts, legen müßte, würde ich unrecht zu handeln glauben, wenn ich stürbe, ohne eine Erklärung zu hinterlasen, die ich hiermit mache: daß es meine feste Überzeugung ist, daß Teresa Higginson von ihrer frühesten Kindheit an zu einem außerordentlich hohen Grade der Heiligkeit berufen war und daß sie auf außergewöhnlichen Wegen geführt wurde; daß sie die verschiedenen Stufen des Gebetes und der Vereinigung eine nach der anderen durchmachte einschließlich der mystischen Vermählung... Disse Überzeugung gründet sich auf meine genaue Kenntnis von ihr, ihres Inneren, ihrer Lebensweise, ihrer heroischen Tugenden, ihrer Leiden und Vesuchungen, ihrer Schriften, der Analogie zwischen ihrem Leiden und dem Leben der Heiligen, und dies alles zusammen mit meiner Kenntnis der mystischen Theologie, die ich zum Gegenstand beständigen und ernsten Studiums machte.
Am 14. September 1904 erlitt die Begnadete einen Schlaganfall, an dessen Folgen sie am 15. Februar 1905 starb. Ihr zuständiger Bischof aber griff das Beispiel ihres Lebens auf: nicht nur daß der Seligsprechungsprozeß der Stigmatisierten eingeleitet wurde, nein, der Erzbischof von Liverpool trat persönlich für die Verbreitung ihrer Lebensgeschichte ein. In einem Brief, den er anläßlich der Übersetzung der großen Biographie von Cecil Kerr schrieb, heißt es: "Niemand kann ihre Schriften lesen, ohne den tiefsten Eindruck von ihrer Rechtgläubigkeit zu erhalten. Sie schreibt über erhabene Gebiete, aber sie verliert sich niemals in Redewendungen, die nach Irrtum klingen. Sie hat niemals mystische Theologie studiert, aber die Schilderung ihrer inneren Erlebnisse stimmt mit allem überein, was uns die Meister der Mystik darüber sagen. Als Seelenführer hatte sie Priester meiner Erzdiözse, die wegen ihrer Klugheit, Frömmigkeit und Gelehrsamkeit in hohem Ansehen standen. Deren Urteil über ihre Tugend ist schließlich von besonderem Werte..."
Die Verbreitung ihrer Lebensgeschichte begrüßend, schrieb er zudem die uns besonders interssierenden Worte: "Wir segnen daher die Übersetzung dieses Buches und beten von Herzen, daß es auf seinem Wege für viele Seelen eine Anregung werden möge, unseren göttlichen Erlöser zu lieben und ihm zu dienen."
Möge ihr Leben, dessen Darstellung inzwischen in gekürzter Form in deutscher Sprache vorliegt, immer mehr den Weg zum Herzen auch von uns allen finden, auf daß auch uns die hohen Gnaden, die in ihm beschlossen sind, zuteil werden.

Siehe ferner:
Haupt-Christi-Novene
Teresa Higginson - Prière pour obtenir la béatification de la Servante de Dieu
The Adoration of the Sacred Head of Christ

Teresa Higginson, die große Stigmatisierte Englands - 1

Maria Martha Chambon, der hochbegnadeten Tochter der Alpen, tritt zu fast gleicher Zeit eine andere nicht minder begnadete Seele an den Gestaden des nordatlantischen Meeres zur Seite, die der Herr in ähnlicher Weise zu erhabenen Gnaden berief und die mit der großen Heiligen von Paray-le-Monial und der Stigmatiserten von Chambéry einen eigenen wunderbaren Dreiklang bildet. Überraschung und Freude muß uns zugleich erfüllen, daß mit dieser Trägerin der Wundmale auch England nach jahrhundertelanger Pause wieder in den Strom der mystischen Gnaden eingeschaltet wurde, ja daß es mit dieser Seeele eine der erlesensten Kämpferinnen erhielt, die göttlichen Flammen der Liebe in wahren Feuergarben in die geistige Dürre des Jahrhunderts zu tragen. Seit den Zeiten eines Thomas Morus und John Fisher und der großen englischen Märtyrer, deren Heligsprechung im Jahre 1935 der englischen, religiösen Bewegung mächtige Auftriebe verlieh, hat England nach jahrhundertelangem Verebben keine so große Begnadete mehr sein eigen genannt, wie sie. Und wenn auch der britische Inselstaat im letzten Jahrhundert eine Reihe großer katholischer Charaktere hervorgebracht, die die Wiedergeburt des Katholizismus in England machtvoll beflügelten - wir brauchen hier nur an einen Wiseman and Newman, an einen Manning und Friedrich Wilhelm zu erinnern, so werden diese Männer, so bedeutend sie waren, dennoch von jener einsamen Dulderseele übertroffen, die sie alle an Reichtum und Tiefe der Gnaden überragte. Teresa Higginson, die Stigmatisierte der Diözese Liverpool, hat durch ihr sühnendes Beten und Leiden den vielleicht bedeutendsten Anteil zur inneren Erneuerung des englischen Katholizismus geleistet. Neben einem Matt Talbot, dem heiligmäßigen Arbeiter, und Margarete Sinclair, dem tapferen Fabrikmädchen, ist sie der Ruhm der jüngeren englisch-religiösen Bewegung!
Nicht zuletzt aber wird es uns mit ganz besonderer Genugtuung erfüllen, daß Teresa Higginson als eine Stigmatisierte der nord-germanischen Völkerfamilie angehört und daß sie als solche nachdrücklichst jene haltlose These widerlegt, daß nur der südländische Mensch zu den außerordentlichen Gaben der Stigmatisation und Ekstase und den höheren Gnaden der Mystik berufen sei. Christus leidet aufs neue auch in dem "nordisch-germanischen Menschen"! Aus seinen Stigmen fließ gleichfalls sein heiliges, kostbares Blut! Gibt es einen besseren Beweis für die Einheit von Christentum und germanischer Rasse, als daß hier wiederum ein Sproß ihrer Völkerfamilie mit seinen Wunden, mit seinem innersten Herzblut den leidenden Christus darstellt, ja dessen Kreuzestod verkündet?
Eine kleine bescheidene Lehrerin war Teresa Higginson, die abseits vom großen Weltgeschehen tatkräftig ihrer Erziehertätigkeit nachging. Und doch, wenn wir der Geschichte ihres glühenden Opferlebens nachspüren, dann müssen wir, wie so oft in der Geschichte der Stigmatisierten, in den Ruf ausbrechen, "daß wir dich, o Vater des Himmels, preisen, daß du es vor Weisen und Klugen verborgen, den Kleinen aber geoffenbart hast". Denn wahrhaft: sie hat die Aufgabe seelisch-religiöser Erneuerung bis in ihre tiefsten Tiefen erfaßt und darf ihren englischen Landsleuten, darüber hinaus aber allen Katholiken, als großartiges Beispiel eines wirklichen Opfer- und Sühnegeistes vorgestellt werden. Dabei aber wächst sie in ihrer großen Gnadenmission weit hinaus über eine ganze Anzahl ihrer Mitgenossinnen, die wir kennen.
Das letzte Verständnis für ihre innere Bedeutung vermittelt uns jedoch ein tieferer Blick in ihr Leben, in ihr heroisches Kämpfen und Ringen.

Fortsetzung

Donnerstag, Juni 15, 2006

Ziteil, Oberhalbstein - Erscheinung der Gottesmutter

S. Maria Mumma de Ziteil


Bericht des Landvogtes des Hochgerichtes Oberhalbstein, Albert de Baselgia, zu Handen des apostolischen Nuntius, Giovanni Francesco, Bischof von Vercelli, gegeben am 6. Juli 1580:

Heute sind es drei Wochen, daß im Oberhalbstein einem 18jährigen Mädchen, das auf den Berg gegangen war, um Holz zu sammeln, eine von Statur kleine und weißgekleidete Frau erschienen ist, die ihr Gesicht mit einem weißen Schleier verhüllt hatte. Sie sprach zum Mädchen also:
"Gehe hin und sage dem Volk im Land Oberhalbstein, es habe nun soviel gesündigt, daß nicht noch mehr ertragen werden könne. Wenn es sich nicht bessere, werde Gott es streng bestrafen, so daß er nicht nur die Feldfrüchte verdorren, sondern auch das Volk vom Jüngsten bis zum Ältesten sterben lassen werde. Ich kann bei meinem Sohn für dieses Volk nicht mehr Fürbitte einlegen".
Nachdem die Frau verschwunden war, wagte das Mädchen niemandem etwas davon zu sagen. Am folgenden Tag, als es zum gleichen Ort kam, erschien ihm neuerdings die gleiche Frau und frug es, warum es dem Volk nicht gesagt habe, was sie ihm aufgetragen hatte. Als das Mädchen antwortete, es habe nichts sagen dürfen, wiederholte sie nochmals das gleiche, hinzufügend, es solle keine Angst haben und dem Volk sagen, es solle Buße tun und mit dem Kreuz Prozessionen halten und dann werde ihm Gott leicht die Sünden verzeihen. Das Mädchen solle diesmal nicht unterlassen, das Aufgetragene dem Volk mitzuteilen, sonst werde es selber bestraft werden.
Trotzdem wagte das Mädchen nicht, etwas hievon jemandem mitzuteilen. In der folgenden Nacht, als es neben der Mutter schlief, fing eine Stimme an, das Mädchen zu rufen. Als die Mutter zum zweiten Mal die Stimme vernahm, frug sie, wer da rufe. Als die Antwort kam, man rufe nicht sie, sondern die Tochter, weckte sie diese, und die Stimme wiederholte dasselbe wie die zwei früheren Male. Da frug die Mutter ihre Tochter, was vorgefallen sei und ob die Frau schon früher mit ihr gesprochen habe. Nachdem sie von der Tochter alles vernommen hatte, erzählte die Mutter am folgenden Tag alles einer anderen Frau, und diese erzählte es ihrem Mann. Dieser aber erstattete dem Landvogt des Hochgerichtes Bericht. Aus diesem Grund nahm der Landvogt Mutter und Tochter ins Verhör. Nachdem er die Wahrheit erfahren hatte, verordnete er Prozessionen, an denen jedesmal über 3000 Personen teilnahmen.
Als die erste Prozession nach dem Ort der Erscheinung innert acht Tagen stattgefunden hatte, begab sich ein 16jähriger Knabe auf einen anderen Berg, auch im Oberhalbstein, und kam zu einer kleinen Quelle, wo er eine Frau im Gebet knien sah. Da er sich fürchtete, wollte er umkehren, um zwei Männer zu rufen, die mit ihm heraufgekommen und etwas weiter entfernt waren, damit sie die Frau auch sehen. Diese rief jedoch den Knaben liebevoll zu sich her und sagte ihm das gleiche, was sie dem Mädchen gesagt hatte, hinzufügend, sie habe nicht aufgehört, zu ihrem Sohn für das Volk zu beten. Aber es sei nötig, daß das Volk sich aufrichtig bekehre und fortfahre, Prozessionen zu halten, wie es angefangen habe, ansonst sie nicht erhört werde. Als sie von dannen schied, sah er ihr gerötetes Knie, als ob sie zeigen wollte, man müsse sich beim Gebet abmühen. Nachdem er nur wenige Schritte fortgegangen war, kehrte er sich um, um die Frau zu sehen, doch sie war schon verschwunden.
Als man anfing, Prozessionen zu halten, fingen alle verdorrten Feldfrüchte wieder zu grünen an und weckten Hoffnung auf eine sehr gute Ernte.

Dieser Bericht befindet sich im Vatikanischen Archiv. Es wurde unterlassen, eine kirchliche Bestätigung dieser Ereignisse zu erwirken. Jedoch wird niemand vernünftigerweise die Echtheit dieser Erscheinungen leugnen. Die Glaubwürdigkeit spricht vor allem aus dem Inhalt der Botschaft Marias, der auf das Wesentliche geht: Bekehrung, Buße und Gebet. Diese Forderungen stimmen auffallend mit den späteren Aussagen der Gottesmuttter in Lourdes und Fatima überein. Die Überlieferung berichtet, daß der Hirt GIATGEN DIETEGEN DE MARMELS geheißen habe und daß zur Bekräftigung seiner Aussage an jenem Abend Ziteil im strahlenden Licht erglänzt sei.
Wohl gleich nach der wunderbaren Erscheinung wird eine kleine Kapelle gebaut worden sein. Ziteil liegt 2434 m über Meer und dürfte der höchstgelegene Wallfahrtsort Europas sein. Zunächst sind sicher viele Gläubige hinaufgepilgert. Aber infolge der Abgelegenheit wurde Ziteil bis in die neueste Zeit kaum über die Kantonsgrenzen bekannt. So wuchs dieser Gnadenort nur langsam zur heutigen Bedeutung.
Im Jahre 1679 ließ Pfarrer Johann Gaudenz Janett den alten Altar durch einen neuen ersetzen. Dr. Florian Candrian von Obervaz, Pfarrer in Salouf und Custos von Ziteil von 1682 bis 1725, brachte den Wallfahrtsort zu neuer Blüte. Ein Pilgerhaus mit einer Stube und zwei Schlafkammern wurde gebaut und die Kapelle sehr wahrscheinlich bedeutend vergrößert. Diese wurde dann am 24. Juni 1710 durch Bischof Ulrich Federpsiel konsekriert, und seither wird in Ziteil am 26. Juni das Kirchweihfest gefeiert. Der Hauptaltar wurde zu Ehren der Heimsuchung Mariens geweiht. 1724 ließ Pfarrer Johann de Lille die wunderbaren Gebetserhörungen auf einer großen Votivtafel darstellen. Seit 1746 übernahmen die Kapuziner die Pfarrei Salouf und damit die Seelsorge in Ziteil. 1846 ließ P. Severin das jetzige alte Pilgerhaus bauen, wozu hauptsächlich die Bevölkerung des Tales die nötigen Mittel beisteuerte. Als letzter Kapuziner amtete der Dichtermönch und innige Marienverehrer P. Alexander Lozza von 1919 bis 1936 als Custos von Ziteil. Durch seine Gedichte und Novellen, und vor allem durch seine dramatisierte Darstellung der Erscheinungen in Ziteil, hat er im romanischen Volk das Vertrauen zu NOSSA DONA DA ZITEIL verstärkt.
Unter Pfr. Josef Baselgia, Riom, der als Custos den kranken P. Alexander vertrat, wurde im Jahre 1949 ein neues Pilgerhaus dem alten angefügt. So erhielt man zwei neue Pilgerstuben, die 1953 zusammen mit dem Hausgang zu einem einzigen Saal umgestaltet wurden, damit der Platz noch besser ausgenützt werden könne. Ferner erhielten die Geistlichen im Neubau sechs praktische kleine Zimmer mit Beichtstuhl. Inzwischen wurden 1955 im Dachstock gute Matratzenlager für 75 Personen eingerichtet und am Rosenkranzfest 1959 konnte Weihbischof Johannes Vonderach (nachmals Bischof von Chur) die Altarweihe des Kirchenneubaus vornehmen.
In Ziteil ist kein Kloster. Als Custos amtet der Pfarrer von Salouf. Darum kann das Heiligtum nur an bestimmten Tagen geöffnet werden. Wegen der Abgelegenheit kann auch der Schlüssel zur Kirche nicht ausgeliehen werden. Man muß darum die folgenden Wallfahrtstage notieren: 26. Juni (Kirchweihfest): 29. Juni (Peter und Paul); 2. Juli (Mariae Heimsuchung); 11. Juli (Plazidus und Sigisbert); 22. Juli (Magdalena); 25. Juli (Jakobus); 26. Juli (Anna); 5. August (Maria Schnee); 10. August (Laurentius); 16. August (Rochus); 24. August (Bartholomäus); 8. September (Mariae Geburt); 21. September (Matthäus); 29. September (Michael). Es sind dies jene Tage, die in früheren Jahrhunderten auch im Tal gefeiert wurden. Ziteil ist am Vorabend genannter Tage von 14 Uhr an geöffnet.
Die meisten Pilger wallen am Vorabend der Wallfahrtstage nach Ziteil.
Der ordentliche Weg führt über Salouf. Bevor man in den Wald eintritt, kommt man zu einer Abzweigung. Rechts führt der meistbegangene Weg nach Munter und von dort links sich wendend nach Ziteil in etwas dreieinhalb Stunden. Wählt man ob Salouf den etwas beschwerlicheren, aber kürzeren Weg, der links abschwenkt, so kommt man ebenfalls nach Ziteil in etwas 3 Stunden. Es gibt auch Pilger, die den Weg über Solis-Stierva-Ziteil wählen. Jedenfalls soll, wer sich nicht gut auskennt, nicht bei Nacht und Nebel hinaufpilgern, sonst kann man leicht vom rechten Weg abirren. Mit Fahrzeugen darf man nicht weiter als bis Munter fahren. Die weihevolle Stille, die ein wichtiges Merkmal von Ziteil ist, soll nicht durch lärmende Jeeps gestört werden.

Duri Lozza, Custos

Aus: "Das Zeichen Mariens", 6. Jahrgang, Nr. 9, Januar 1973, Seiten 1799 ff.
Dazu folgende Beiträge:

Mittwoch, Juni 14, 2006

Das Gnadenbild auf dem Muttergottesberg bei Grulich (Kraliky)

Text auf der Rückseite des abgelichteten alten Andenkenbildchens:

Das Gnadenbild am Muttergottesberg bei Grulich (Kraliky, Tschechien) ist eine Nachahmung des berühmten Bildes vom hl. Lukas. Ein Ordensmann brachte es aus Rom für eine Verwandte; diese gab es dem Tobias Becker aus Grulich. Becker, nachmals Bischof von Königgrätz, stiftete als Domherr in Prag das Servitenkloster am Muttergottesberge. Den 21. August 1700 bracht er sein Bild dahin. Maria erwies sich alsbald als "Hilfe der Christen". In den ersten 50 Jahren wurden gegen 8000 wunderbare Erhörungen gemeldet. Die Zahl der jährlichen Kommunikanten überschritt oft 100.000. - Seit 31. Juli 1883 versehen die PP. Redemptoristen den Wallfahrtsort. (Jüngere Geschichte siehe auf dieser Webseite!)



Gebet: O Maria, sei einst Mittlerin zwischen Gott dem Richter und mir armen Sünder. Komme, liebreichste Jungfrau, Deinem Diener in jeder Not schleunigst zu Hilfe, besonders aber in der Stunde meines Todes. Stehe mir bei, o starke Trösterin, gegen den Fürsten der Finsternis, damit ich die ewige Seligkeit erlange. Amen.

Mit kirchlicher Genehmigung. Verlag der PP. Redemptoristen

Montag, Juni 12, 2006

Madonna delle Milizie, Scicli

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La Madonna delle Milizie - oder wie die Gottesmutter auf einem Schimmel in Rüstung erschien und die Mohammedaner zugunsten der Christen bezwang

5 Kilometer von Scicli (Ragusa, Diözese Noto, Sizilien) entfernt, auf einem anmutigen Hügel, zu dessen Füßen sich eine weite Ebene von Zitronen und leuchtend roten Tomaten ausdehnt und sich das Meer von Cava d'Aliga bis Donnalucata in einen wunderschönen Golf ausweitet, erhebt sich das altehrwürdige Heiligtum der Madonna delle Milizie, Unserer Lieben Frau der Bürgerwehren oder der Streitmächte, der Patronin der Stadt. Sein Ursprung geht auf das Jahr 1091 zurück. Man befand sich in den Zeiten der kriegerischen Einfälle der Sarazenen (= Araber = Türken = Mohammedaner = Moslems) in Sizilien, und Graf Ruggero der Normanne, hatte sich entschlossen, jenen barbarischen Horden ein Ende zu setzen, die von Belcane angeführt wurden. Dieser jedoch, nachdem er Kenntnis erhalten hatte davon und sich bewußt geworden war, daß unmittelbare Gefahr bevorstand, wandte sich an den Sultan und sah dadurch tatsächlich seine Streitmacht stark vermehrt, so sehr, daß er die Gewißheit hatte, den Sieg zu erringen und sich selbstsicher mit einem Kriegslager am flachen und entblößten Strand von Donnalucata niederließ. Graf Ruggero verfolgte die Bewegungen Belcante's, und obwohl er kräftemäßig unterlegen war, ließ er sich nicht abschrecken und verlangte Hilfe von den Kavalleristen des benachbarten Scicli. Diese eilten in Massen herbei; aber ehe sie sich in die Schlacht warfen, brachten sie der Himmels-Königin ein strenges Fasten zum Opfer dar, damit Sie ihnen zu Hilfe komme und von diesem Tyrannen befreie. Eine Volksüberlieferung, die eifersüchtig gehütet wird, sagt, daß im Gedränge des Gefechtes (des Kampfgetümmels) die Himmelskönigin auf einem weißen Pferde erschien, ausgestattet mit einer himmlischen Rüstung und auf dem Haupte eine Königskrone und in der Hand ein blitzendes Schwert. An ihr Volk gewandt sprach sie dann: "En adsum, ecce me, civitas delecta protegam te destra mea!" Sie stellte sich darauf an die Spitze des christlichen Heeres, welches ein großes Blutbad unter den Feinden ihres Sohnes anrichtete. Nachdem sie über sie den vollen Sieg errungen hatte und zu dem Ort zurückgekehrt war, wo sie zeurst erschienen war, ließ sie in einem harten Stein ihren Fußabdruck eingeprägt und entschwand. Noch heute sieht man zur Linken, wenn man ins Heiligtum eintritt, den Eindruck des Fußes, sorgsam behütet in einer kunstvollen Einfriedung aus Holz. Aus Dankbarkeit für jene mütterliche Hilfe wurde das Heiligtum gebaut,welchem 1931 eine große Einsiedlei angefügt wurde. Das Volk von Scicli gedenkt jedes Jahr am Samstag vor dem 1. Passionssonntag des aufsehenerregenden Wunders mit einer sakralen Darstellung auf dem Platz vor der Mutter-Kirche, wo das Standbild U.L.F. der Heerscharen auf dem Schimmel verehrt wird. (Salvatore Guastella)

Samstag, Juni 10, 2006

Die Muttergottes bekehrt die Moslemin Bruca

Bruca, die Tochter einer reichen türkischen Familie in Tripolis, wurde in früher Jugend zur Sklavin gemacht und diente im Jahre 1765 bei einer christlichen Familie in Malta, welche sich alle Mühe gab, sie zur Christin zu machen, aber vergebens. Der Teufel hatte Bruca fest in den Kopf gesetzt, das ewige Leben hänge einzig und allein von den Werken ab, welche man in dieser Welt verrichte. Durch gute Werke würden Christen und Türken (Moslems) selig, und durch schlechte Werke gingen die einen wie die anderen ohne Unterschied zu Grunde. Sie antwortete daher allen Denen, welche ihr vom christlichen Glauben sprachen - und es waren deren viele - beständig, sie sei als Türkin geboren und wolle als Türkin leben und sterben; ihre ewige Seligkeit hänge bloß von den Werken ab, welche sie auf dieser Welt tue, und sie bete daher zu Gott um die Kraft, immer gute Werke verrichten zu können; auf diese guten Werke hoffe und vertraue sie, und so lebe sie ruhig.
Bei dieser ihrer Unbeugsamkeit erkannten Alle bald, daß eine außerordentliche Gnade zur Umwandlung Brucas notwendig sei; und ihr Herr, welcher daran verzweifelte, mehr zu erreichen, gab ihr den Rat, sich wenigstens jeden Tag der Gottesmutter Maria zu empfehlen, um von ihrem göttlichen Sohne Licht und Kraft zur Erkenntnis der Wahrheit zu erlangen. Die Türken haben eine große Ehrfurcht gegen Maria, und ehren sie als die Mutter eines großen Propheten, und darum versprach Bruca gern, sich von nun an jeden Tag dieser großen Frau zu empfehlen. Sie hielt auch ihr Versprechen, und es stand nicht lange an, da sah Bruca eines Nachts zur Sommerszeit, während sie im Bette lag, plötzlich das ganze Gemach von einem unbeschreiblichen Lichte erhellt, und mitten in demselben eine wunderschöne Frau, die sie als Maria erkannte, und welche zu ihr hintrat, sie auf die rechte Wange schlug und zu ihr sagte: "Werde Christin und nimm den Namen Marianna an." Da vershwand die Erscheinung; Bruca war ganz verwandelt und fest entschlossen, Christin zu werden und sich gleich taufen zu lassen. Sie erhob sich alsdann aus dem Bette, weckte ihren Herrn auf, erzählte ihm unter großem Jubel ihr Traumgesicht und bat ihn, sie ohne Verzug taufen zu lassen. Der Herr war erstaunt über eine so plötzliche und feurige Umwandlung, welche die Erscheinung, die Bruca erzählte, als eine vollkommen wahre und wunderbare erscheinen ließ. Er pries den Herrn tausendmal für seine große Barmherzigkeit und sagte zu Bruca, der Mensch müsse sich auf ein solches göttliches Geschenk, soviel es in seinen Kräften stehe, angemessen vorbereiten. Sie müsse vor der heiligen Taufe notwendig die Lehre Jesu Christi lernen, welche sie glauben und bekennen solle; zu alle dem gehöre Zeit, Aufmerksamkeit und Beharrlichkeit. für jetzt möge sie gehen, um dem Herrn (Jesus) und der heiligen Jungfrau für die große Barmherzigkeit zu danken, welche sie an ihr geübt, und möge Gott durch die Fürbitte Mariä bitten, er wolle ihr ein immer größeres und wirksameres Licht zur Erkenntnis der Wahrheit verleihen, sie in ihrem heiligen Vorsatze bestärken, sie zur Taufe und endlich zur ewigen Seligkeit führen. Bruca beruhigte sich bei den Vorstellungen ihres Herrn, zog sich in ein nahes Zimmer zurück und brachte hier vor einem Bilde der heiligen Jungfrau den ganzen Rest der Nacht im Gebete zu. Zwanzig Tage lang wurde sie in der christlichen Lehre unterrichtet, und während dieser ganzen Zeit beharrte sie fest bei dem Entschlusse und in dem Verlangen, sobald als möglich die Taufe zu empfangen. Aber nach zwanig Tagen begann sie an der Wahrheit ihres Traumgesichtes zu zweifeln und sich von der Taufe abwendig machen zu lassen, kehrte zu ihrem alten Irrtum zurück, daß die guten Werke allein Türken und Christen ohne Unterschied entweder selig machen oder verdammen, wurde so hartnäckig wie vorher und versicherte entschieden, sie wolle sich nicht taufen lassen; sie sei als Türkin geboren und wolle als Türkin sterben; ja, sie wurde verstockter als zuvor und blieb in dieser Verstocktheit noch bis zum Februar 1778.
Im September 1777 kaufte der Herr Carl Giorgi aus Rom Bruca, welche Anfangs Oktober des erwähnten Jahres in das Haus ihres neuen Herrn nach Rom kam. Hier in Rom gaben sich Herr Carl Giorgi und alle Mitglieder seiner Familie und viele andere Leute alle mögliche Mühe für die Bekehrung Bruca's ; aber Alles war vergebens, sie wurde immer halsstarriger in ihrer Verstocktheit und blieb gegen alle menschlichen Bemühungen ganz unzugänglich bis zum Abend des 21. Februar 1778, an welchem der Herr (Jesus) sie kräftig rufen wollte. Es war Samstag, und spät in der Nacht legte Bruca sich nieder und schlief bald ein. Als sie noch nicht lange geschlafen, hörte sie jemand neben ihrem Bette, welcher sie mit Namen rief. Darüber erwachte Bruca und sah das ganze Gemach von einem unermeßlichen glänzenden und wunderschönen Lichte erfüllt, und neben ihrem Bette enien in glänzend weißen Gewanden herrlich gekleideten Jüngling. Bruca war anfänglich von einem heiligen Schauer ergriffen und sichtlich erschrocken; allmählich aber wurde sie ruhiger, fühlte den Mut in ihr Herz zurückkehren und ward von einem süßen und demütigen Vertrauen erfüllt. Sie fragte den Jüngling ehrfurchtsvoll, wer er sei und was er von ihr wolle. Der Jüngling antwortete: "Ich bin Aloysius Gonzaga", und kaum hatte er das gesagt, so zeigte er Bruca in der Ferne eine wunderschöne Frau und sagte zu ihr: "Siehe dort, das ist die Mutter Gottes, Maria, und weil du keine Christin bist, wird sie nicht in deine Nähe kommen." Bei diesen Worten fühlte Bruca ihr ganzes Herz von einem neuen und so wirksamen Troste ergriffen, daß sie vor Freude kein Wort hervorbringen konnte; aber ihr Herz war verwandelt, und sie war fest entschlossen, eine Christin zu werden; dann verschwand die Erscheinung.
Als es Tag geworden war, erzählte Bruca ihrer Herrschaft, was ihr in der Nacht begegnet war, und beteuerte ihnen, sie wolle eine Christin werden und sich taufen lassen. Diese waren erstaunt über eine so plötzliche Umwandlung, und obwohl sie bei der großen Einfalt und Aufrichtigkeit Burca's keineswes an den Dingen zweifelten, welche sie erzählte, so schickten sie dieselbe doch, um irgend einen Beweis zu erhalten, an diesem Morgen, Sonntag den 22. Februar, von einem Diener begleitet, in die Kirche des Collegium Romanum, und als sie dort das Bild des heiligen Aloysius erblickte, sagte sie, ohne daß man etwas zu ihr gesagt oder sie darauf aufmerksam gemacht hätte, voll Freude zu dem Diener, der sie begleitete: "Das ist der Jüngling, der mir heute Nacht erschienen ist und mit mir gesprochen hat!"
Am 2. März führte Herr Giorgi sie in das Haus der Katechumenen, wo sie sorgfältig in der christlichen Lehre und in Allem unterrichtet wurde, was nach der Vorschrift der heiligen Kirche notwendig ist, damit sie zur Taufgnade wohl vorbereitet werde. Bruca lernte leicht alle Glaubenslehren, zeigte einen immer größeren Eifer, die heilige Taufe zu emfpangen, blieb fest bei diesem Verlangen und voll eifriger Andacht, Ehrfurcht und Frömmigkeit gegen Alles, was zur katholischen Religion gehört. Am 9. Juni desselben Jahres, dem dritten Pfingstfeiertage, taufte Kardinal Mark. Antonius Colonna, Generalvikar von Rom, unsere Katechumenin feierlich in der Kirche des Collegium Romanum und legte ihr die Namen Marianna Aloysia de Georgi bei, und ihre Taufpaten waren der Herr Dominicus Georgi und die Gräfin Scotti, die Kinder des erwähnten Herrn Carl Giorgi.

Aus: Die Erscheinungen und Offenbarungen der Mutter Gottes vom Beginn des Christentums bis auf unsere Zeit, Paderborn, 1888, S. 360 ff., Druck und Verlag der Bonifacius-Druckerei (J. W. Schröder.)

Donnerstag, Juni 08, 2006

Die Jungfrau im Siegeskranz



Tabblo: La Madonna della Vittoria - La Vierge de la Victoire - Die Jungfrau im Siegeskranz


Du schöne Jungfrau, sonnenglanz-umkleidet,
von Sternenpracht gekrönt, der höchsten Sonne
so lieb, daß sie in dir ihr Licht verbarg:
die Liebe drängt mich, Worte dir zu weihen,
doch ohne dich kann ich es nicht beginnen
und ohne Ihn, der liebend in dir weilt.
Dich ruf' ich an, die immerdar erhörte,
wer gläubig zu dir rief.
Jungfrau, da zum Erbarmen
die Elendsfülle menschlicher Gebrechen
dich immer hat gerührt, o neige dich mir zu,
steh' mir im Kampfe bei,
bin ich auch Staub und du des Himmels Herrin!

Jungfrau, so menschlich fühlend, feind dem Stolze,
laß dich von Liebe gleichen Ursprungs leiten,
erbarme dich des tiefzerknirschten Herzens!
Wenn ich ein wenig armen Erdenstaub
mit wunderbarer Treu' so sehr geliebt,
wie werd' ich dir begegnen, holdes Wesen?
Wenn ich aus meiner Armut und geringem Stand
durch deine Hand erhoben,
Jungfrau, deinem Namen
Gedanken, Geisteskraft und Stil,
Zunge und Herz, Tränen und Seufzer weihe,
leit' mich zu bess'rer Furt
und nimm in Gnade auf mein neues Sehnen!

Es naht der Tag und kann nicht fern mehr sein,
es eilt und fliegt die Zeit,
Jungfrau, einzig Erwählte,
und Herz, Gewissen und der Tod mich drängen.
Empfehl mich deinem Sohn, der wahrer Mensch
und wahrer Gott,
daß Er aufnehme meinen letzten Hauch im Frieden.

Francesco Petarca: Canzone

Vorwort von Pater C.E. Schmöger C.ss.R. zum Werk "Emmerick-Visionen" 5. Folge


Tabblo: The Presentation of the Virgin Mary in the Temple

6. Ausführlich und von hoher Bedeutung sind ihre Schilderungen der Vorbereitung des Kindes Maria im ersten Monate seines vierten Lebensjahres zur Aufnahme unter die Tempeljungfrauen zu Jerusalem, der Reise dahin und der Aufnahme selber. Nach der einstimmigen Überlieferung der ganzen Kirche des Morgen- und Abendlandes hatte Maria in ihrem dritten Jahre das Gelübde gemacht, in gänzlicher Abgeschiedenheit von der Welt sich nur allein dem Dienste Gottes als Jungfrau zu weihen; und schon vor ihrer Geburt hatten Joachim und Anna Gott ihr Kind geschenkt und sich verlobt, Maria als Eigenthum Gottes zum Tempel zu bringen, sobald sie das Alter dazu erlangt haben würde.
Der heilige Johannes Damascenus (Dieses und alle folgenden Citate aus den griechischen Vätern sind dem unsterblichen Werke des P. Passaglia: "De immaculato Deiparae semper Virginis Conceptu Commentarius" entnommen.) nennt diese Opferung Mariä und ihr eilfjähriges Verweilen am Tempel als Tempeljungfrau: "eine vollkommen verbürgte, gewisseste Thatsache und ein aller Ehre und Lobpreisung würdiges Geheimniß, welches unvergängliche Segnungen und Heil Allen gebracht habe." Die morgenländische Kirche hat von den ältesten Zeiten her diese Opferung als ein hohes Fest gefeiert, und die Worte ihrer heiligen Väter und Lehrer geben Zeugniß von der hohen Bedeutung, welche die Kirche in dieser durch ununterbrochene Überlieferung bezeugten Thatsache der Opferung und des Aufenthaltes Mariä am Tempel erkannt hat. Wenn die Kirche an den Festen der heiligsten unbefleckten Empfängniß und der wunderbaren Geburt Mariä die Geheimnisse der ewigen Vorherbestimmung Mariä zur höchsten Würde der Mutter des göttlichen Sohnes und ihrer Ausrüstung mit allen dieser unmeßlichen Würde gebührenden Gnaden, Auszeichnungen und Vorrechten, also Das, was von Gott an und für Maria geschah, in Lobpreisung und Danksagung feiert, so feiert sie am Feste der Opferung die Größe und Herrlichkeit der Tugenden und Verdienste, welche Maria von erster Kindheit an bis zur Vermählung mit dem heiligen Joseph und bis zum Gruße des Engels durch treueste Mitwirkung mit der empfangenen Gnadenfülle sich erworben hat, durch welche Vorbereitung sie auch ihrerseits, d. i. durch eigene Verdienste sich würdig machte, zur höchsten Würde der Mutter des Sohnes Gottes erhöhet zu werden, wie dieß von dem heiligen Papste Gregorius in den Worten bezeugt wird:
"Ist nicht Maria der hohe Berg, welcher, um bis zur Empfängniß des ewigen Wortes hinan zu reichen, den Gipfel seiner Verdienste hinauf über alle Chöre der Engel bis an den Thron der Gottheit erhöhet hat?"
Der heilige Johannes Damascenus sagt:
"Die heiligste Gottesgebärerin ist ein Kind der Verheißung. Durch den Engel wird den Eltern ihre Empfängniß verkündet; denn es geziemte sich, daß auch hierin Maria keiner Anderen nachstehe und geringere Auszeichnung empfange, sie, welche bestimmt ist, den Einen wahren Gott im Fleische zu gebären. Darnach opfert und weihet sie sich dem geheiligten Tempel Gottes, und so lange sie hier in gänzlicher Abgeschiedenheit von der übrigen Welt verweilet, ist ihr ganzes Leben für alle Geschöpfe das Urbild der Vollkommenheit und Reinheit. Verpflanzt in die Wohnung Gottes und genährt mit dem Thau der Gaben des heiligen Geistes wächst sie gleich einer fruchtbare Olive heran zur Wohnung aller Tugenden, und abgewendeten Geistes von jeglichem Verlangen der Welt und des Fleisches bewahret sie in Leib und Seele die erhabenste Jungfräulichkeit, die ihr geziemte, um in ihrem Schoß Gott zu empfagen, der als der Heiligste nur in den Heiligen wohnen kann. Und so wurde sie, stets zunehmend an Heiligkeit, der heilige, wunderbare, für die Einkehr Gottes würdigste Tempel"
Und der heilige Andreas von Creta berichtet in gleicher Weise:
"Da aus einer unfruchtbaren Mutter Jene hervorgekommen war, aus deren Schoß die Ähre der Unsterblichkeit aufsproßte, so wurde sie schon im ersten Blüthenalter von ihren Eltern zum Tempel geleitet und gleich einer Weihegabe Gott dargebracht. Der Priester aber, der in dieser Stunde den Dienst im Tempel hatte, brach in hohes Frohlocken aus, da er schon jetzt die Erfüllung der Erwartung des Kommenden zu schauen bekam; und demgemäß brachte auch er das glückselige Opfer und göttliche Weihegeschenk, das Kind Maria, Gott dar, indem er diesen großen Schatz des Heiles in dem Innersten des heiligenTempels bewahrte, wo das zarte Kind mit himmlischer Nahrung gespeist werden sollte, bis der von Ewigkeit her bestimmte Zeitpunkt seiner Vermählung herankommen würde. Lasset nun auch uns in die Vorhöfe des Templs eilen und mit den Maria voranziehenden Mägdlein in das Allerheiligste eintreten, wo nun diese Knospe zur lieblichsten Blume sich entfalten wird. Gott selbst hat ihr gleich einem Brautgemache die Wohnstätte hier bereitet, indem Er sie hier als sein ehrwürdigstes, herrlichstes Eigenthum für sich aufbewahren will. Und darum öffnet auch der Tempel seine Pforten, um die königliche Zierde des ganzen Weltalls in sich aufzunehmen. Ja offen stehet jetzt das Allerheiligste, um die heiligste Mutter des Allerheiligsten in seinem für Andere unbetretbaren Schoße zu beherbergen."
Übereinstimmend hiemit bezeugt auch der heilige Georgius von Nikomedien:
"Joachim und Anna opfern ihr dreijähriges Kind als das kostbarste und allen Engeln ehrwürdigste Weihegeschenk im Tempel, dieses reinste Gefäß, in welches alle Reichthümer der Gnade niedergelegt sind, das in unaussprechlicher Weise alle Schätze der Heilsordnung Gottes in sich schließt und worin alle Unterpfänder unseres Heiles geborgen sind. Denn es war geziemend, daß das unbefleckte Kind die heilige Dreizahl zuerst an sich selber verherrliche, da durch sie allen Menschenkindern die Macht der heiligsten Dreieinigkeit kund werden sollte, indem in ihr Gott der Vater den neuen Bund der Gnade schloß, in ihr Gott der Sohn Wohnung nahm, um mit dem Fleische sich zu bekleiden, in ihr Gott der Heilige Geist verweilte, um die ungetheilte Dreieinheit zu offenbaren, durch welche die dreifache geschiedene Welt, d. i. die Himmlischen, die Irdischen und Unterirdischen, in der Einen Anbetung Gottes wieder geeint und der Urheber der Scheidung niedergeschlagen wurde. So schwingt sich also heute die makellose Taube auf in die verborgensten Räume des Tempels, der lauernden Bosheit ihres Nachstellers (Lucifers) entgehend, über den sie von Gott von Anbeginn schon ist erhöhet worden. Und heute wird im Tempel das Gefäß des heiligen Geistes aufbewahrt, um würdig sich zur Empfängiß des Wortes zu bereiten. Denn es geziemte sich nicht, daß das reinste Tabernakel in der Atmosphäre der unreinen Welt verweile, sondern daß es an einen untadelhaften Ort gebracht werde, um hier die ersten Regungen der Freude zu empfinden, hier das Unterpfand ihrer Benedeiung in Empfang zu nehmen und hier mit von Engelhänden bereiteter Speise, als einem Vorbilde des heiligen Sacramentes, genähret zu werden. Es geziemte sich, daß der reine, fleckenlose Schatz ferne von jeder Berührung menschlicher Sitten und Gewohnheiten erhalten werde, und billig war es, daß das so helle wie ein Lichtstrahl schimmernde Heiligthum bewahrt bleibe vor jeder Annäherung einer Schuld, daß seine Ohren unzugänglich seien irgendwelchen Worten des Truges; denn in diesen Ohren wird ertönen die Stimme des Engels, durch welche die bittere Trauer aus Eva's Ohren verscheucht werden soll." Und im weiterem Verlaufe seiner Rede legt der heilige Georgius den Maria bei ihrer Opferung begrüßenden Engeln die Worte in den Mund: "O scheinbar kleines und schwaches Gefäß, wir schauen dich voll Gnade! O Tochter der Menschen, wie hoch und in welch' unvergleichlichen Weisen erhebest du dich über alle Grenzen und Fähigkeiten der menschlichen Natur! O welche Erstlinge ihrer Früchte vermag in dir die Menschheit Gott ihrem Schöpfer darzubringen! Welch' ein Opfer hat sie mit dir Ihm gebracht! Ein Opfer, wie es Gottes vollkommen würdig ist und geistiger noch, als alle Opfergaben, die wir Geister Ihm darzubringen im Stande sind; denn es ist geheiligter und reiner, als unsere Reinheit selbst. Und bringen wir unsere Unschuld mit der deinigen in Vergleich, so erkennen wir, daß die unsrige in dieser Vergleichung nicht bestehen kann, und daß sie der Hoheit deiner Heiligkeit und deiner unbefleckten Reinheit in keiner Weise gleichkommt". "Sind auch", sagt der heil. Sophronius, "die Engel ihrer Natur nach höherer Ordnung, als die Menschen, so doch nicht der Gnade nach; denn auch die Engel sind nur durch die ohne ihr Verdienst ihnen von Gott verliehene Gnade vor dem Falle bewahrt worden. In ihrer Tugendfülle aber, welche über jede Lobpreisung erhaben ist, ragt Maria empor über alle Ordnungen der englischen Geister. Ihre Hoheit reicht hinauf über die höchsten Kreise des Himmels; ihre Heiligkeit strahlet heller als das Licht der Sonne und der Glanz ihrer Verdienste ist leuchtender als die Würde der Engel. Sie verdunkelt die strahlenden Erzengel; sie erhebt sich über die höchsten Sitze der Throne, sie ist höher als die Herrschaften, sie gehet voran den Fürstenthümern, stärker ist sie als die Kräfte, und ihre Augen dringen tiefer als die der Cherumbim, und die von Gott bewegten Schwingen ihres Geistes streben höher als die sechsfach geflügelten Seraphim; ja allen Creaturen gehet sie weit voran, denn über alle erglänzet sie in Reinheit."
Daß die allerseligste Jungfrau, so lange sie im Tempel veweilte, auf übernatürliche Weise durch Engel gespeistet wurde, wird nicht allein von den Vätern der morgenländischen Kirche ohne Ausnahme berichtet, sondern ist auch in den Lobpreisungen ihrer liturgischen Hymnen gefeiert. So sagt der heilige Germanus von Constantinopel:
"Voll Freudigkeit und frohlockend, wie eine Braut in ihr Brautgemach, zieht das Kind Maria in den Tempel Gottes ein: ihrem Alter nach erst dreijährig, jedoch der Gnade nach von Gott dem Lenker aller Dinge als höchst vollkommen und vollendet vorhergewußt, vorherbestimmt und auserwählt. Sie weilet nun im Innersten des Heiligthumes, durch Engel mit himmlischer Speise genährt und mit himmlischem Getränke erquickt."
Diese Speisung beschreibt näher der heilige Georgius von Nikomedien, wenn er sagt:
"Der Priester, welcher das Kind Maria im Tempel in Empfang nahm, erkannte ihre Schönheit und ihr Wesen als den Ausdruck höchster Gottseligkeit; er nahm aber auch die Dienstleistung des Engels wahr, und darum suchte er sich die hohe Bedeutung der Jungfrau klar zu machen, welche die Dienstleistung des Engels ihn ahnen ließ. Er blieb nicht bei Dem stehen, was sein Auge zu schauen bekam, sondern suchte das viel Höhere zu ergründen, was ihm darunter verborgen schien. Die Nähe des Engels und sein Verweilen bei dem Kinde war nämlich eine Hinweisung auf die Ankunft des Erzengels Gabriel, welche Gott im Voraus anzeigen und auf die Er Maria bereiten wollte. Die von dem Engel gebrachte Speise aber deutete auf das Brod des Lebens."
Der hl. Bischof Tharasius sagt:
"Ferne von allem Thun des kindlichen Alters diente Maria in der Verborgenheit des Tempels nur Gott, und empfangend vom Himmel her durch Engel ihre Nahrung, bedurfte sie nicht einer gewöhnlichen Speise; und Tag für Tag die Freude der Engel betrachtend erschien sie hoch erhaben über die Sorgen dieser Welt, und in ununterbrochener Beschauung des heiligen Geistes hielt sie in wunderbarer Kraft alle Scharen der bösen Geister von sich ferne. Denn was war das Thun der Jungfrau im Allerheiligsten des Tempels? Der Engel Brod empfing sie durch Engel und als die makellose Taube ihre Jungfräulichkeit bewahrend lag sie vor dem Werkmeister des Tempels, des Himmels und der Erde in Danksagung und in Ausgießung ihres Herzens zu Ihm flehend: Ich preise Dich, o höchster, allmächtiger Gott, der du die Schmach meiner ersten Gebärerin, der Eva, (durch meine unbefleckte Empfängniß) getilget hast und in deiner unendlichen Erbarmung den Eingeborenen zur Erde niedersenden willst, damit Er unter den Menschen wandle."
Und der hl. Theophylactus ruft aus:
"Gott selber offenbaret, wie sehr Ihm die Opferung der heiligsten Jungfrau und Alles, was von ihr im Tempel geschieht, gefällt; denn Er läßt ihr durch den Dienst seines Engels die Speise bereiten, sie auf wunderbare Weise nähren, sie, die darnach Ihn selber gebären und ernähren soll, so daß an der süßesten Jungfrau nichts nach Art der gewöhnlichen Menschen, sondern Alles als göttlich erscheine."
In einem griechischen Hymnus auf das Fest der Opferung heißt es:
"Nun ist der Tag des Heiles für Jene angebrochen, die in der Nacht der Trübsal weilen. Die Himmelspforte schreitet über die Schwelle des Tempels und im Glanze seiner Leuchten betritt sie das Allerheiligste, um hier mit heiliger Stärkung zur geheiligten Wohnung Gottes ernährt zu werden. Das geistliche Brautgemach des ewigen Wortes wohnet nun im Allerheiligsten, wo es von des Engels Hand die himmlische Nahrung empfängt. Die Heilige, die Unbefleckte im heiligen Geiste wird in das Allerheiligste eingeführt und vom Engel gespeiset, sie, welche bestimmt ist, der wahre allerheiligste Tempel unseres Gottes zu werden."
Der hl. Theophanes legt der hl. Anna bei der Opferung die Worte in den Mund:
"Empfange, o Priester Zacharias, das Kind, von welchem die Propheten im heiligen Geiste geweissagt, führe es ein in das Heiligthum, damit es hier in Heiligkeit erblühend für den Herrn aller Dinge sein göttlicher Thron, sein Palast, sein glänzendes Gewand werde." Johannes Monachus sagt: "In zartester Kindheit, aber in höchster Stärke des Geistes wird Maria als die geheiligte Lade des Bundes in die Wohnung Gottes gebracht, um hier mit dem Thau der göttlichen Gnade gespeiset und hier im Innesten des Tempels als unversehrte Jungfrau zur Wohnung des Sohnes Gottes wunderbar bereitet zu werden." Der hl. Leo Magister: "Die herrliche Frucht der göttlichen Verheißung, die wahre Gottesgebärerin erscheint in der Welt als das erhabenste ihrer Geschöpfe. Sie wird zum Tempel Gottes gebracht, erfüllend das Geblübde ihrer heiligen Eltern. Hier verbleibt sie, behütet vom heiligen Geiste und mit himmlischer Speise genähret, damit sie der Welt gebären könne das Wort, als das Brod des Lebens. Darum wird sie als der auserwählte und vollkommen makellose Tempel geheimnißvoll mit dem heiligen Geiste verbunden und dem himmlischen Vater verlobt".

Montag, Juni 05, 2006

Wie die Muttergottes dem heiligen Bischof Gregor dem Wundertäter erschienen ist

Die Allerseligste Jungfrau erschien dem hl. GREGOR dem Wundertäter, dem Bischof von Neocaesarea, im Jahre 240.
In der Geschichte der Kirche wird zum ersten Mal im Leben des hl. Gregorius des Thaumaturgen eine Marienerscheinung erwähnt. Er war der erste Bischof Armeniens. Sein Fest wird am 17. November gefeiert. Von heidnischen Eltern, die ihm den Namen Theodor gaben, in Neocaesarea um das Jahr 213 geboren, kam er mit seinem Bruder nach Caesarea in Palestina, um dort die Rechte zu studieren. Hier wurden beide durch die Lehrvorträge des Origenes zum Christentum bekehrt. Beide Brüder wurden im Alter von 26 Jahren zum Bischof geweiht. Theodor, der in der Taufe den Namen Gregor erhalten hatte, wurde Bischof in seiner heidnischen Vaterstadt Caesarea, die er ganz verchristlichte.
Nach Antritt seines Bischofsamtes zog sich Gregor in die Einsamkeit zurück. In diese Zeit fällt, nach dem Kirchenlehrer Gregor von Nazianz, die erwähnte Erscheinung, infolge derer der Bischof ein Glaubensbekenntnis niederschrieb, dessen Handschrift zur Zeit seines Biographen noch in Neocaesarea vorhanden war. Dieses Glaubensbekenntnis enthält eine kurze, klare Darlegung des Dogmas von der Trinität, die in der Folge ein hohes Ansehen erlangte. In der Einsamkeit stellte sich dem neuen Bischof die Frage, ob Christus, der Erlöser, wesenhaft Gott sei, oder, wie die Irrlehre der Gnostiker verkündete, nur eine Art Mittler zwischen Gott und den Menschen. Er wollte in dieser harten Zeit der Christenverfolgung durch die römischen Kaiser seiner verfolgten Herde Antwort geben auf das Problem des Leidens.
Hören wir hier den Bericht des hl. Gregor von Nazianz:

"Eine ganze Nacht fragte er sich wie er die wahre Lehre verkünden sollte, als plötzlich ein älterer Mann vor ihm erschien. Seine Kleidung und sein Mantel ließen ihn als einen Mann im Dienste Gottes erkennen. Der Bischof von Neocaesarea stand erstaunt auf und fragte, wer er denn sei und wer ihn geschickt habe? Der Fremde beruhigte ihn und erklärte, er sei gekommen, um ihm zu helfen, seine Glaubensschwierigkeiten zu überwinden, um so in aller Klarheit den Glauben verkünden zu können. Der Fremde erhob anschließend seine Hand und wies auf das andere Ende des Zimmers. Gregor sah dort eine Frau von der Würde und Majestät einer Königin. Sein Erstaunen wuchs. Indem er sich die Augen rieb, betrachtete er die beiden Gestalten. Ein eigenartiges Licht umgab die beiden Erscheinungen, das es erlaubte, sie trotz der dunklen Nacht deutlich zu erkennen.
Die beiden Personen sprachen miteinander. Dies wurde für Gregor eine neuen Quelle des Lichtes. Er hörte eine vollständige Darlegung des chrisltichen Glaubens und erkannte aus ihrem Gespräch, wer ihm erschienen war. Die geheimnisvolle Dame ging dem Evangelisten Johannes entgegen und bat ihn, den Bischof in seinen pastoralen Sorgen aufzuklären.
Der ehrwürdige Greis erklärte, daß er gern dem Wunsche der Gottesmutter entspreche. Er tat dies so gut, daß der glückliche Bischof, als die beiden Gestalten verschwunden waren, sich an den Tisch setzen konnte und sein berühmtes Glaubensbekenntnis niederschrieb, das er in der Folge oft kommentierte in seinen Homilien, nach welchen man bis heute die Gläubigen seiner Kirche unterrichtet, die dadurch von jeder Ansteckung der Häresie verschont blieben.
Es beginnt mit den Worten: Es ist nur GOTT der Vater des lebendigen Wortes, Vater unvergänglicher Weisheit, von Ewiger Macht und Schönheit, Vater eines vollkommenen Sohnes, Vater eines einzigen Sohnes."
Der Text des Thaumaturgen und jener des Kirchenlehrers Gregor von Nazianz, der 100 Jahre später verfaßt wurde, sind absolut identisch, was die Authentizität garantiert. Das denkwürdige Andenken an die erwähnte Erscheinung hat sich in der orientalischen wie in der abendländischen Kirche erhalten, stammt es doch aus der glücklichen Zeit, in welcher beide Kirchen in demselben Glauben und derselben Verehrung der Gottesmutter vereint waren. ("Maria Regina")

Freitag, Juni 02, 2006

Die Muttergottes bekehrt den Juden Alfons Ratisbonne


Alfons Ratisbonne gehörte zu einer jüdischen Familie in Straßburg, die durch Reichtum und den Ruf großer Ehrenhaftigkeit ausgezeichnet war. Gegen Ende des Jahres 1841 verlobte er sich mit einer jungen Jüdin, deren vorzügliche Eigenschaften ihm alles Glück versprachen. Vor der Verehelichung gedachte er indessen, eine Reise in den Orient zu machen und im Vorübergehen einige der größten Städte Italiens zu besuchen, mit Ausnahme Roms, welches er als Jude verabscheute. Indessen, der Mensch denkt und Gott lenkt! Gott führte ihn trotz seines Widerwillens in die Stadt des heiligen Petrus. Unbewußt von einer geheimen Macht getrieben, änderte er seinen ursprünglichen Reiseplan, und anstatt nach Palermo ging er nach Rom, um dessen Altertümer zu bewundern und, wie er meinte, neue Nahrung für seinen Haß zu finden. Dort war es, wo Gott ihn erwartete, wie einst den Saulus auf dem Wege nach Damaskus. Die Gefühle des Schülers Gamaliels gegen die Kirche Christi beseelten auch Ratisbonne; aber Gott, der den Ersteren aus einem Wolfe in ein Lamm verwandelte, wandelte auch in der Seele des Zweiten den Haß in Liebe um, die Finsternis in Licht. Was den Haß des jungen Ratisbonne gegen die katholische Religion noch verschärfte, war die Bekehrung seines älteren Bruders Theodor, der sich nicht nur hatte taufen lassen, sondern selbst in den Priester- und Ordensstand getreten war. So kam Ratisbonne denn nach Rom, und kaum hatte er die berühmtesten Monumente in Augenschein genommen, als er sich auch schon wieder zur Abreise bereit machte. Alles, was er sah, regte ihn auf und erbitterte ihn. Der Besuch des Ghetto, des Judenquartiers, erregte in besonderem Grade seinen Zorn.
Vor seiner Abreise wollte Ratisbonne indessen noch einen Jugendfreund und früheren Mitschüler besuchen, der sich in der ewigen Stadt aufhielt, und mit dem er trotz des Unterschiedes der Religion sehr vertraut war. Derselbe hieß Gustav von Bussière, ein eifriger Protestant, der vordem öfters versucht hatte, seinen jungen jüdischen Freund zur reformierten Sekte zu bekehren, während dieser hingegen ihn von den Vorzügen der mosaischen Religion zu überzeugen suchte. Diese Verschiedenheit der Religion hatte jedoch ihrem Freundschaftsverhältnisse keinen Eintrag getan. Ratisbonne suchte also seinen Freund auf; er wurde von einem italienischen Bedienten empfangen, der ihn aus Versehen zu dem Bruder des Gesuchten, der gerade abwesend war, führte, Theodor von Bussière. Dieser hatte das Glück gehabt, den Protestantismus abzuschwören, und war ein sehr frommer und eifriger Katholik. Derselbe empfing ihn als Freund seines Bruders mit aller Herzlichkeit.
Anfangs drehte sich das Gespräch um die Merkwürdigkeiten Roms, dann geriet man auf die Religion. Bussière sprach mit Wärme von der katholischen Religion, von der Moral des Evangeliums, den schönen Hoffnungen des Christen, seinen reichen Gnadenmitteln für das ganze Leben, von der unendlichen Liebe Jesu und von Derjenigen, die er uns als Mutter gegeben hat; dann fragte er seinen Besucher, ob eine solche Religion nicht geeignet sei, ihre Bekenner glücklich zu machen? Bei dieser Frage suchte der junge Sohn Abrahams in sich seinen Haß zu verdoppeln; aber aus Höflichkeit hielt er sich zurück und antwortete anfangs nur mit einem kalten Schweigen und einem mitleidigen Lächeln; dann sagte er kurz abbrechend: "Ich bin Jude und werde als Jude sterben." Gott aber hatte es anders beschlossen.
Eine innere unerklärliche Stimme sagte dieses dem Herrn von Bussière, der, einem geheimen Antrieb folgend, kühn dem jungen Juden eine Muttergottesmedaille anbot. "Versprechen Sie mir", sagte er, "dieses kleine Geschenk, welches ich Sie anzunehmen bitte, immer bei sich zu tragen." In den Augen der Welt war ein solches Benehmen sehr kühn und sonderbar. Es überraschte den jungen Ratisbonne, der kurzweg die Annahme der Medaille mit Unwillen verweigerte. Herr von Bussière ließ indessen nicht nach, in ihn zu dringen, er möge doch diese Medaille annehmen, wenn nicht als einen Andachtsgegenstand, dann wenigstens als ein Andenken. Um nicht unhöflich zu sein, ließ Ratisbonne sie sich endlich anlegen. Aber noch mehr: Bussière mutete ihm weiter zu, er möge auch zu Maria etwas beten, und reichte ihm deshalb auf einem Zettel gedruckt das "Memorare". Jener mußte sich alle Gewalt antun, um bei dieser neuen Zumutung nicht seinem Zorne Luft zu machen. Er hielt indessen an sich, nahm das Blatt und empfahl sich, beim Weggehen entschlossen, sich dieser aufgedrungenen Gegenstände alsbald zu entledigen. Er dachte nicht daran, daß Gott ihn mit seiner Barmherzigkeit verfolge.
Kaum war er fort, als sich Herr von Bussière mit seiner ganzen Familie ins Gebet begab für ihn, den er so lebhaft für Jesus Christus zu gewinnen wünschte. Am Abend vereinigte er sich mit etlichen Freunden, um in derselben Meiung vor dem heiligsten Sakramente zu beten. Dann schickte er, obwohl es schon spät war, einige Zeilen an Ratisbonne in dessen Gasthof, worin er ihn bat, seinen Besuch am folgenden Tage zu wiederholen. Derselbe kam in der Tat, erklärte indessen sogleich, daß er in der folgenden Nacht abreisen werde und den Platz auf der Post schon bestellt habe. "Abreisen?", sagte sein neuer Freund; "nein, das lasse ich nicht zu, wenigstens acht Tage müssen Sie noch hier bleiben; wir bestellen sofort ihren Postplatz ab." Alles Sträuben und Potestieren half nichts; unter dem Vorwand, es gebe in den nächsten Tagen eine große Zeremonie zu sehen, nötigte Bussière ihn, noch zu bleiben, und begleitete ihn dann als Führer zu verschiedenen Heiligtümern. Unterwegs suchte der seeleneifrige Apostel wieder religöse Gespräche auf die Bahn zu bringen, erhielt aber wenig tröstliche Antworten. So auch an den folgenden Tagen. Die Ausdauer des Chisten setzte den Juden in Erstaunen. Am 19. Januar kamen sie mitsammen zu der Santa Scala (der Treppe aus dem Gerichtshause des Pilatus). In prophetischem Tone rief Herr von Bussière aus: "Sei gegrüßt, heilige Treppe; siehe da einen Mann, der eines Tages dich auf seinen Knieen ersteigen wird!" Sein Begleiter aber antwortete auf diese Prophezeing mit lautem Gelächter.
Indessen hatte Ersterer einen lieben Freund, Herrn von La Ferronays, fast plötzlich durch den Tod verloren. Beide hatten noch einige Tage vorher über die Bekehrungsversuche an dem jungen Juden gesprochen, und der jetzt Verstorbene hatte voll Zuversicht gesagt: "Sei ruhig, wenn du es fertig bringst, daß er das "Memorare" betet, hast du ihn schon."
Als Bussière am Abend des 19. Januar von seinem Rundgang zurückkam, eilte er erst noch zum Sarge des Freundes und empfahl seinem Gebete am Throne Gottes diese Sache, die ihm selbst so sehr am Herzen gelegen hatte, und die bis jetzt so wenig Aussicht zu haben schien. Am Morgen des 20. war Ratisbonne noch in denselben Gesinnungen; nicht der leiseste Zweifel erhob sich in seinem Herzen über die Wahrheit seiner Religion und kein Gedanke an einen Wechsel. Am Nachmittag begegnete er dem Herrn von Bussière auf der Straße, der in der Kirche des hl. Andreas noch einige Besorgungen bezüglich des Leichenbegängnisses seines Freundes zu machen hatte. Sie gingen also zusammen. Dort in der Kirche "delle Fratte" war es, wo den neuen Saulus die Gnade erwartete. Er ging, während Bussière mit einem der Klosterpatres redete, in der Kirche umher, wie man in einem Museum umhergeht. Als Herr von Bussière nach einer Abwesenheit von etwa 10 Minuten zurückkam, sah er ihn nicht. Sollte er etwas aus Langeweile davongegangen sein? Bussière schaut sich um, und wer beschreibt sein Erstaunen, da er den Gesuchten vor einer Seitenkapelle knieen findet, scheinbar in tiefste Andacht versunken! Es war die Kapelle des hl. Michael. Bussière naht sich dem da Knieenden; derselbe hört ihn nicht. Er berührt ihn einmal, zweimal, dreimal, ohne bermerkt zu werden. Endlich erhebt Ratisbonne den Kopf, sein Gesicht ganz in Tränen gebadet; er faltet mit der Miene der innigsten Andacht die Hände auf der Brust und ruft aus: "O wie hat Herr von La Ferronays für mich gebetet!" Etwas Anderes ist nicht aus ihm herauszubringen.
Sein Begleiter schließt ihn in tiefster Ergriffenheit in seine Arme und führt ihn dann aus der Kirche. Auf die Frage, wohin er ihn geleiten solle, erhält er die Antwort: "Wohin Sie wollen; nach dem, was ich gesehen habe, überlasse ich mich Ihnen ganz." Herr von Bussière führt den neuen Paulus zu dem ihm bekannten Jesuiten P. Villefort; ihm erklärte derselbe, von dem, was er gesehen habe, könne er nur auf den Knieen Mitteilung machen; zugleich äußerte er ein sehnliches Verlangen nach der Taufe und dem Bekentnisse Jesu Christi. P. Villefort nahm Beide mit Liebe auf. Aufgefordert zu erzählen, was ihm begegnet sei, ergriff Ratisbonne seine Medaille, bedeckte sie mit Küssen und Tränen und rief noch ganz außer sich: "Ich habe sie gesehen... ich habe sie gesehen!" - Nach einer geraumen Zeit war er dann im Stande zu erzählen: "Ich war noch nicht lange in der Kirche, als ich mich plötzlich auf ganz unerklärliche Weise ergriffen fühlte. Ich erhobe die Augen; das ganze Gebäude war meinen Blicken entschwunden, mit Ausnahme einer einzigen Kapelle, welche in wunderbarem Lichte strahlte; und dort mitten in diesem Lichte, über dem Altar erschien groß, glänzend, voll Majestät und Milde die Jungfrau Maria, so wie sie auf der Medaille ist; eine unwiderstehliche Gewalt zog mich zu ihr hin. Sie machte ein Zeichen mit der Hand, ich solle niederknieen. Dann schien sie zu sagen: so ist es gut; sie hat Nichts gesprochen, aber ich habe Alles verstanden."
Das war der kurze Bericht, welcher nur ahnen ließ, was mit und in dem Begnadigten vorgegangen. Dieser wünschte das tiefste Stillschweigen über Alles beobachtet zusehen. P. Villefort glaubte indessen, die Ehre Gottes und Mariä gestatte die Geheimhhaltung nicht, sondern fordere die Veröffentlichung eines solchen außerordentlichen Gnadenwunders. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Kunde von dem Wunder durch die Stadt. Der Neubekehrte wurde in den folgenden Tagen von Bekannten und Unbekannten angegangen, Näheres zu erzählen, vermochte jedoch ihre Neugierde wenig zu befriedigen. Sein heißestes Verlangen war jetzt der Empfang der Taufgnade. Zehn Tage bereitete er sich in der Einsamkeit durch fromme Übungen darauf vor. Ein vorgängiger Unterricht war kaum erforderlich; es zeigte sich, daß er in der Tat "Alles wußte"; Maria hatte nicht nur sein Herz gerührt, sondern auch seinen Geist erleuchtet, so daß er den P. Villefort, der ihn vorbereite, durch die Sicherheit und Klarheit seiner Religionskenntnis in Staunen setzte.
Als Tag der Taufe wurde der 31. Januar bestimmt und als Ort die Jesuitenkriche. Schon lange vor der feierlichen Stunde war die Kirche mit Gläubigen gefüllt. Um halb neun Uhr erschien Ratisbonne mit dem weißen Taufkleide angetan, begleitet von P. Villefort und Herrn von Bussière, seinem Paten. Es kam Bewegung unter die Menge; alle wollten den Begnadigten sehen und denjenigen, er für ihn das Werkzeug der Gnade geworden war. Die römischen Frauen ließen die Gefühle ihrer Bewunderung und frommen Freude nach lebhafter italiensicher Art laut werden; sie priesen, den hl. Rosenkranz küssend, die Madonna, welche aus diesem Wolfe ein Lamm gemacht. - Der Karinal-Vikar von Rom nahm die hl. Handlung vor. Mit fester, klarer Stimme sprache der Täufling das Glaubensbekenntnis und das Taufgelübde. Als Christennamen wählte er sich den Namen Maria. Der später so berühmte Dupanloup, damals noch einfacher Priester, hielt in seiner ergreifenden Weise die Taufrede, welche die Anwesenden zu Tränen rührte. Nach der heiligen Handlung folgte die Messe, in welcher der neue Christ seinen Heiland empfing. Tief war seine Ergriffenheit. Wie gründlich er mit seinen früheren Anschauungen und Gesinnungen gebrochen hatte, beweist sein bald erfolgter Eintritt in den Orden der Gesellschaft Jesu. Ein glühender Eifer beseelte ihn für die Rettung seines Volkes. Diesem widmet er sich noch jetzt gänzlich, nachdem er die Priesterweihe empfangen hat, in Jerusalem, wo er im Verein mit andern Priestern eine weitgreifende Missionstätigkeit entfaltet.

Aus: Die Erscheinungen und Offenbarungen der Mutter Gottes vom Beginne des Christenthums bis auf unsere Zeit. Padernborn, 1888,
Druck und Verlag der Bonifacius-Druckerei (J. W. Schröder.) - Erbstück des Immaculata-Verlags, CH-9050 Appenzell, von Adolf Schmiegel, Werl, Neheimerstr. 8