Mittwoch, April 19, 2006

Vorwort von Pater C.E. Schmöger C.ss.R. zum Werk "Emmerick-Visionen" 2. Folge

1. Bei Veranstaltung der ersten Ausgabe des dreibändigen Lebens Jesu war der Unterzeichnete von der Absicht geleitet, den Inhalt der Tagebücher des Clemens Brentano unverkürzt und unverändert vorzulegen, damit jeder unbefangene Leser mit leichter Mühe daraus entnehme, wie der Schreiber nichts Anderes hatte geben wollen und geben können, als was die selige Emmerich aus ihren Anschauungen mitzutheilen im Stande war. Es lagen somit dem Leser alle Ungenauigkeiten, alle Wiederholungen, alle später von der Erzählenden gemachten Ergänzungen oder Einschaltungen in derselben Weise und Gestalt vor Augen, in der sie entstanden waren, damit ihm gerade hierin der deutlichste Beweis geboten wäre, daß der Erzählenden irgendwelche Absichtlichkeit ebenso ferne gelegen, wie dem Schreiber eigenmächtige Zuthaten. In der vorliegenden Ausgabe aber ist nicht nur die für den Leser oft so störend gewordene Anführung der Wochen- und Monatstage, an denen die Erzählung und Aufzeichnung des Geschauten geschehen war, hinweggelassen, sondern auch alle Wiederholungen und Ungenauigkeiten in Beschreibung der Örtlichkeiten des heiligen Landes, während die von der Erzählenden nachträglich gemachten Verbesserungen an jenen Stellen eingefügt wurden, wohin sie ursprünglich gehört hatten. Auch die Einleitungen, welche vom Herausgeber bei Besorgung der ersten Auflage jedem der drei Bände vorangestellt waren, erscheinen der Raumersparung wegen hier nicht mehr. Dagegen wird der Nachweis der durchgehenden Übereinstimmung gegeben, in welcher Alles, was die selige Emmerich von den Thatsachen und Geheimnissen des heiligsten Lebens Mariä berichtet, mit der ältesten Überlieferung und mit den Offenbarungen der heiligen Brigitta und der "Geheimnißvollen Stadt Gottes" der seligen Maria von Agreda sich findet.

2. Alle Bilder der Geschichte unseres Heiles, wie sie hier dem Leser geboten werden, sind Früchte, welche auf dem Baume unermeßlicher Leiden gereift sind. Wohl hatte Anna Katharina das Licht des Schauens als ein reines Gnadengeschenk Gottes schon in der Taufe empfangen; aber sie hatte dasselbe wie alle anderen ihr von Gott verliehenen Gaben und Vorzüge durch beharrlichste Treue im Streben nach höchster Vollkommenheit in allen christlichen Tugenden und durch heroische Geduld und Standhaftigkeit in Erduldung unaufhörlicher, bis zum letzten Augenblicke ihres Lebens sich steigernder Leiden jeden Tag wie auf's Neue zu verdienen. Auch wurde für sie die von Gott ihr gebotene Mittheilung des Geschauten eine Quelle von Pein und eine so harte Aufgabe, daß sie nur auf den Befehl ihres Beichtvaters und Seelenführers und in der gewissen Überzeugung, sie erfülle damit den heiligsten Willen Gottes, sich derselben zu unterziehen vermochte.
Diese Thatsachen allein schon, abgesehen von der näheren Würdigung des Inhaltes ihrer Mittheilungen, berechtigen von vorneherein zu dem Schlusse, daß dieselben nach den weisesten Absichten Gottes nicht etwa nur einer geistlichen Unterhaltung oder der Befriedigung thatloser Wißbegierde, sondern einem viel höheren und ernsteren Zwecke zu dienen haben. Gar oft hatte Anna Katharina, wenn sie, überwältigt von dem Eindrucke der unendlichen Liebe und Barmherzigkeit des göttlichen Heilandes, wie solche jeder Zug seines heiligsten Wandels ihr offenbarte, in Schmerz und Rührung ausrief: "O daß doch alle Menschen dieß auch so mitansehen könnten, wie ich arme Sünderin!" die Worte zu vernehmen: "Gehe hin und erzähle es! gib Zeugniß von Dem, was dir gezeigt wird, damit auch Andere es inne werden!" Und in dieser Mahnung liegt der Schlüssel zu dem tieferen Verständnisse der barmherzigsten Absichten Gottes, die Er an jedem Leser dieser Mittheilungen seiner begnadigten Dienerin erreichen will. Es sollen die Herzen bewegt, belebt und befruchtet werden mit den Keimen der göttlichen Liebe, der Hoffnung, des Vertrauens, der Reue und Beschämung über ihre so vielfache Untreue, Kälte und Gleichgiltigkeit gegen ihren gütigsten Herrn und Erlöser, der die ganze Mühsal, Niedrigkeit, Armuth und Bitterkeit seines irdischen Wandels sie empfinden lassen will. Und diese heiligenden Anregungen sind es, welche wie mit geheimer, süßer Gewalt das Auge des Lesers an den Bildern festhalten, um Jesus den guten Hirten näher kennen zu lernen, seine Stimme aufmerksamer zu vernehmen und sich leichter zu entschließen, die Absichten, Neigungen und Gesinnungen des eigenen Herzens in größere Übereinstimmung und Gleichförmigkeit mit den Worten und dem Vorbilde des guten Hirten, das ist, mit den Grundsätzen und Forderungen der wahren christlichen Frömmigkeit zu bringen.
Würde unsere Gegenwart auch das vollkommenste Buch geboten, das aber nur in belehrenden und ermahnenden Unterweisungen zur Übung der Gottseligkeit bestünde, so würde es bei der fast allgemeinen Unlust und Scheu vor ernsten Wahrheiten nur einen sehr beschränkten Kreis von Lesern finden; denn es sind heut zu Tage nur Wenige, die es noch ertragen können, an die ernsten Pflichten eines wahrhaft christlichen Wandelns erinnert zu werden, und die sich nicht gegen die unleugbare Wahrheit des Evangeliums verschließen, daß ohne Überwindung und Selbstverleugnung, ohne Buße und Abtödtung, ohne Verdemüthigung und Gehorsam, daß endlich ohne beständigen Kampf gegen die inneren und äußeren Anreizungen zur Sünde das Reich Gottes nicht in Besitz genommen werden kann. Darum erscheint es als eine unbegreifliche Güte und Herablassung des göttlichen Heilandes an die seiner Hilfe und seiner Erbarmungen so sehr bedürftige Zeit, daß Er sich gewürdiget hat, ihr in den Gesichten seiner begnadigten Dienerin nicht einfache Belehrungen zu bieten, sondern ihr ein treues Spiegelbild seines armen, demüthigsten, mühseligsten, irdischen Wandels aufzurollen, damit sie Ihn auf jedem Schritt und Tritt begleiten, und gleichwie mit den leiblichen Augen betrachten möge, welch' ein Übermaß unendlicher innerer und äußerer Leiden, Peinen und Trübsale Er für die Rettung unserer Seelen auf sich genommen hat, und wie unermeßlich seine Liebe und Geduld, seine Langmuth und Barmherzigkeit gegen uns, in der es Ihm nicht zu viel wurde, nicht allein sein eigenes Leben im bittersten Tode für uns am Kreuze zu opfern, sondern auch seine unbefleckte, sündelose, heiligste Mutter, die seiner zärtlichsten Liebe mehr als alle Engel und Menschen zusammen würdig war, von dem Mit-Erdulden aller Peinen, Beschwerden und Nöthen seines irdischen Wandels und von dem vollständigen Mit-Erleiden seines bittersten Leidens und Sterbens nicht auszunehmen.
Dieß Alles tritt in den einfachen, schmucklosen Berichten so anschaulich, so wahr und ergreifend und in solcher Übereinstimmung mit den heiligen Evangelien und der ganzen kirchlichen Überlieferung dem Leser vor Augen, daß man sich des Gedankens nicht erwehren kann, es wolle Jesus, der gütigste Hirte, auch die unwissenden, die lauen, die gleichgiltigen Glieder seiner Heerde auf lieblichste, unwiderstehliche Weise zu sich rufen und einladen, nach Ihm auch einmal ihr Auge zu wenden und Ihm nur einen kleinen Theil ihrer so flüchtigen und so wenig geachteten, aber unendlich kostbaren, weil unersetzlichen, Zeit der kurzen Lebensdauer zu schenken, um Ihn besser kennen, mehr lieben und auf die Rettung ihrer Seelen mehr achten zu lernen. Er will der thatlosen Lesesucht der Gegenwart, die es gewohnt ist, aus tausendfachen Kanälen müßige Zerstreuung und Erschlaffung des Geistes einzufangen, einen unversiegbaren Quell lebendigen Wassers erschließen, damit sie aus ihm wahre und gesunde Erquickung schöpfen möge, welche nicht wie eine ungründliche, flüchtige Erregung wieder verrinne, sondern bleibende Früchte des Geistes hervorbringe, wenn nur der Leser ihren Wirkungen sich nicht verschließen will.

(Fortsetzung folgt)

Das von Pater C.E. Schmöger herausgegebene Werk "Emmerick-Visionen" in 4 Taschenbänden

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