Dienstag, Mai 09, 2006

Vorwort von Pater C.E. Schmöger C.ss.R. zum Werk "Emmerick-Visionen" 4. Folge

5. Es wird gesagt: "Das Geheimniß der Demuth"; denn die Demuth Mariä ist das Geheimniß aller Geheimnisse, das Geheimniß d. i. der Grund, das Fundament wie die Vollendung aller ihrer Gaben, ihrer Vorzüge, ihrer Größe und Herrlichkeit und Gipfel ihrer Heiligkeit und Tugendfülle, wie alle heiligen Väter und Lehrer mit einstimmiger Bewunderung dieses unbegreiflichen Wunders es bezeugen. Und daß gerade dieses Geheimniß so wahrhaftig, in so hinreißender Einfalt in jedem Wort, das die selige Emmerich über Maria vorbringt, geschildert ist, das ist in den Augen des Herausgebers der größte und entscheidenste Beweise, daß ihre Gesichte aus dem Geiste der Wahrheit stammen, daß sie eine reine, echte Gabe Gottes sind, der nur eine Seele, die selbst in der tiefsten Demuth fest begründet war, zu einem so reinen, lauteren Spiegel der ewigen Wahrheit machen konnte. Dichtung, Täuschung oder Lüge sind nicht vermögend, ein der Wirklichkeit annäherndes Bild auch nur der für einen vollkommenen Christen erreichbaren Demuth zu entwerfen, um wie viel weniger aber das Urbild der Demuth, wie es in Maria offenbar wurde, so treu, so lebenswahr, so absichtlos, so unwillkürlich in jedem Wort, in jedem Zuge, in jeder Handlung zu zeichnen, wie es in den Mittheilunen der seligen Emmerich geschieht, die eben in dieser puritas et simplicitas das Siegel der Echtheit und ihres höheren Ursprunges an sich tragen. Sie zeigen, wie Maria als die vollkommenste, heiligste, weiseste, mächtigste und schönste aller Creaturen Himmels und der Erde, als die Bewunderung und das Entzücken aller Chöre der Engel, als die Erfüllung der tausendjährigen Sehnsucht und Erwartung der Patriarchen und Propheten und aller Gerechten von Adam herab bis auf Joachim und Anna auf wunderbarste Weise geboren wurde, und schon jetzt an Stärke und Umfang der Erkenntniß und Weisheit, an Fülle aller Gaben die höchsten Chöre der englischen Geister übertraf, wie in der Bulle Ineffabilis bezeugt ist:

"Hoch über alle englischen Geister und alle Heiligen ist sie mit der aus dem Schatze der Gottheit entnommenen Fülle aller himmlischen Gnadengaben so wunderbar ausgerüstet, daß sie allzeit ganz und gar frei von jeglicher Makel einer Sünde, und ganz schön und vollkommen, und mit solcher Fülle der Unschuld und Heiligkeit begabt ist, wie eine größere nach Gott nicht gedacht werden kann, und welche außer Gott kein erschaffener Verstand auch nur zu begreifen vermag. Sie ist der Sitz aller göttlichen Gnaden, sie ist geschmückt mit allen Gaben des heiligen Geistes, ja sie ist dieser Gaben unversiegbare Schatzkammer und unerschöpflicher Abgrund."

Diesen unermeßlichen Reichtum aber besitzt Maria, nach den Schilderungen der seligen Emmerich, als ein jedem menschlichen Auge verborgenes, nur dem Auge Gottes allein durchdringliches Geheimniß, ja wie ein Geheimniß, das selbst den Blicken ihres eigenen Geistes wie verschlossen scheint. In Wirklichkeit freilich liegt diese unendliche Fülle der Gaben, Zierden und Vorzüge offen vor ihren Augen; aber so unbegreiflich hoch wie diese Fülle, so unbegreiflich tief ist das Geheimniß ihrer Demuth, der es eigen ist, sich vor allen Geschöpfen auf Erden verborgen zu erhalten, ja um alle ihre Schätze und Reichthümer wie nicht zu wissen, um sie nur allein dem Auge Gottes, nicht sich selber, offenbar sein zu lassen. Durch die Uebermacht ihrer tiefsten Demuth sind sie vor ihr wie mit einer undurchdringlichen Hülle umgeben, damit ihr Auge nie darauf ruhe, sondern wie Johannes Damascenus sagt, allzeit unverwandt nur nach ihrem Gott und Herrn in dem ewigen unzugänglichen Lichte gerichtet sei.
Oder, wie der heilige Bernhardin von Siena sich ausdrückt: "So groß ist die Vollkommenheit der seligsten Jungfrau, daß, sie zu schauen, Gott sich allein vorbehalten wollte." "Nicht nur um ihrer höchsten Reinheit willen, sagt Albert der Große, sondern mehr noch um ihrer tiefsten Demuth willen verdiene Maria den Sohn Gottes zu empfangen. Wohl konnte sie auf den Gruß des Engels erwiedern: "Siehe ich bin die Braut des Vaters, die Mutter des Sohnes, das Heiligthum des Heiligen Geistes", aber sie hielt sich in ihrer Demuth für so gering, daß sie nur antwortete: "Siehe ich bin die Magd des Herrn." Und auch im Magnifcat spricht die Jungfrau der Jungfrauen nicht: "Er hat angesehen die Reinheit, sondern die Niedrigkeit seiner Magd." Dasselbe sagt der heilige Bernardus: "Wie sehr auch Gott ihre Jungfräulichkeit gefiel, so war es doch ihre Demuth, in der Maria vom heiligen Geist empfangen hat." Indem der heilige Augustinus Maria der Eva gegenüberstellt, bedient er sich der Worte: "Eva bedachte nicht, daß sie nur ein Geschöpf und ein Werk Gottes sei, sondern wollte aus Stolz Gott gleich werden. Die Demuth Mariä aber fühlt sich nur als Geschöpf und nennt sich die Magd ihres Herrn und Erschaffers. Und darum ward Eva verworfen, Maria aber auserwählt; und was Eva's Stolz verlor, das rettete wieder die Demuth Mariä."
Maria ist schöner, weiser und mächiger als Lucifer, der oberste der Engel, vor seinem Falle; sie ist aber von Anbeginn sein vollkommenstes Gegenbild. Verloren in das Anschauen seiner Schönheit und Größe empörte sich Lucifer gegen Gott, seinen Herrn und Schöpfer, und ward mit seinem ganzen Anhange in die Hölle gestürzt. Maria aber fühlt und weiß sich nur als aus dem Nichtsein von der Allmacht Gottes zum Leben gerufen, sie denkt sich niedriger, als jedes andere Geschöpf und begehrt als deren letztes Gott allein nach allen ihren Kräften zu dienen. Und demgemäß zeigen die Mittheilungen der seligen Emmerich in rührender Einfachheit Maria, den Sitz der Weisheit, den Spiegel der Gerechtigkeit, als das äußerlich unmündige, gehorsamste, unterthänigste Kind von Joachim und Anna, die nur Thränen der Liebe und Ehrfurcht haben, wenn sie den Glanz seiner Heiligkeit und Weisheit nicht selten die engen Schranken dieser schwachen Kindheit durchbrechen sehen.

Fortsetzung folgt

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