Am Auslauf zweier Tälchen des nördlichen Kaiserstuhles liegt das Städtchen Endingen.
Seit alters, bis hinein in die Neuzeit, durchzog es eine wichtige Verbindungsstraße mit dem Elsaß. Alte Gebäude, Reste der Stadtmauer und manch andere geschichtliche Sehenswürdigkeit zeugen auch heute noch vom Glanz dieser Vorderösterreichischen Stadt. Aber der geistige Anziehungspunkt der frohen und geschäftigen Stadt ist in der "Oberen Kirche", die dem heiligen Bischof Martin von Tours geweiht ist. Vom Hochaltar blickt auf den Eintretenden das Bild unserer Gnadenmutter mit dem Kind auf dem Arm. Jahrhunderte haben schon vor diesem Bilde gekniet. Bis hinein in das Kinzigtal, hinauf auf die Höhen des Schwarzwaldes und hinüber in das Elsaß haben fromme Pilger schon vor 500 Jahren Trost und Frieden getragen, den sie bei der Gottesmutter von Endingen erlangt hatten. Über die Entstehung der ersten Kirche und der Wallfahrt haben wir keine Urkunde. Doch wissen wir allgemein, daß Kirchen mit dem heiligen Martin als Patron zu den ältesten unseres Landes gehören. Immerhin haben wir aus dem Jahre 1274 die erste verbürgte Nachricht von der "Sankt Martins-Pfarrkirche zu Ober-Endingen". Im Jahre 1333 haben nach einer Urkunde 14 frnzösische Bischöfe den Pilgern und Besuchern der Kirche einen Ablaß gewährt und die Bestätigung des Diözesanbischofs erbeten. Die Investitur-Protokolle der Bischöfe von Konstanz erwähnen im Jahre 1467 einen Altar zu Ehren der allerseligsten Jungfrau Maria, den eine Handwerksgesellen-Bruderschaft unterhält. Nach alten Überlieferungen war der Zustrom an Pilgern oft so groß, daß die Bewohner der Stadt sie nicht alle beherbergen konnten. Im 16. Jahrhundert werden historische Überlieferungen über die Wallfahrtskirche zahlreicher. So soll im 16. Jahrhundert ein Jesuitenpater durch seine Predigt in der Kirche "Unserer Lieben Frau", die durch reformatorische Neurer verwirrten Bürger dem alten Glauben bewahrt haben.
Ein außerordentliches Ereignis aus dem Jahre 1615 gab dem Muttergottesbild seinen Namen und wurde auch der Anlaß zu neuer Blüte der Wallfahrt. Am Vorabend vor Christi Himmelfahrt, berichtet das alte Protokoll, das nach den Aussagen der vereidigten Zeugen von dem Stadtrat von Endingen verfaßt wurde, hat "Unser Lieben Frauen Bildnis und das Kindlein, das sie auf ihren Armen trägt, auf dem mittleren Altar, genannt Unser Lieben Frauen Altar, unter der Handwerksgesellen-Bruderschaft geweint". Dieses Weinen war eine ganze Stunde zu beobachten. Um dieses Ereignis, das sofort wahrgenommen wurde, sammelte sich rasch eine Menge von Zeugen, die im obengenannten Protokoll vom Stadtrat verhört worden sind.
Das wunderbare Ereignis des Weinens des Gnadenbildes wurde als ein Zeichen verstanden, das zu Buße und Gebet mahnt. Ein in demselben Jahr verfaßtes Lied der Endinger legt Zeugnis davon ab. Das Wunder vom Vorabend vor Christi Himmelfahrt des Jahres 1615 und seine Mahnung wurde in Endingen nicht vergessen. Noch heute findet an dem Tage vor Christi Himmelfahrt eine außerordentliche Feier und Lichterprozession der gläuigen Endinger statt. Die glückliche äußere Frucht des Tränenwunders am Gnadenbilde der Muttergottes war ein außerordentlicher Schutz für die Stadt Endingen und auch für die, die dort Zuflucht suchten während des nach 3 Jahren einsetzenden 30jährigen Krieges. Wir haben darüber 2 Berichte. Einen der im Jahre 1672 in dem Werk des Jesuitenpaters Wilhelm Gumppenberg über Marien-Wallfahrtsorte niedergelegt ist. Sein Werk, genannt "Marianischer Altlas" ließ er vom Jahre 1655 an erscheinen. Sein Bericht weist nur einen Fehler auf. Er hat ihn von seinem Ordensbruder, der Stadtprediger in Freiburg war und gleich nach dem 30jährigen Krieg 1649 nach Endingen kam, wo er von dem Wunder des Gnadenbildes hörte und sich beim Stadtrat und der Geistlichkeit über die Wirkung während des 30jährigen Krieges orientierte. Sein Fehler war, daß er in seinem Bericht an Gumppenberg die Städte Endingen und Kenzingen verwechselte. Aber Kenzingen konnte nicht gemeint sein. Der Bericht stimmt nur für Endingen.
Kenzingen war im 30jährigen Krieg fast gänzlich zestört. Die Übersetzung lautete folgendermaßen:
"(Kenzingen) ist ein wenig bekanntes Städtchen, schön gelegen und hat um sich herum mehrere Städte der gleichen Größe.
Es stehen dort zwei, nicht sonderlich geräumige Kirchen. In einer von diesen ist eine Statue Unserer Lieben Frau, ungefähr 3 Fuß hoch, berühmt wegen einer auffälligen Vorauskündigung, die nachher unsägliche Verwüstungen durch verschiedene feindliche Heere überreich besätigten. Denn wer weiß nicht, wie im ganzen Schwedenkrieg dieses sogenannte Obere Elsaß für feindliches und freundliches Militär zum Schauplatz diente, wo jegliche soldatische Willkür frevelte und sich austobte. Aber daß ich das Wunder von dieser Statue der Heiligen Jungfrau schildere, das ich oben erwähnte. Ehe der Schwedenkrieg ausbrach, zu einerZeit, als in jenem Landstrich noch tiefster Friede war, fing diese Statue an zu weinen und Tränen zu vergießen, als Anzeichen der bevorstehenden Übel. Eine Täuschung ist ausgeschlossen, denn das Weinen dauerte mehrere Stunden... die Statue konnte von allen gesehen, konnte berührt und untersucht werden. Zudem zog man geeignete Zeugen hinzu, und diese bestätigten die Sache unter Eid, wie das Volk sie sah. Es brachen dann die Nöte des Krieges herein. Und, was größer ist als tausend Wunder, sie haben in der ganzen Gegend Städte und Dörfer mit schrecklichen Bränden heimgesucht, so daß selten die Hälfte der Häuser von den Flammen verschont blieb. Aber in dieser Stadt, obgleich sie von keinem einzigen Soldaten je verteidigt wurde, hat kein einziges Haus Feuerschaden erlitten. Andere Kriegsfolgen wurden auch ihr zuteil, doch sie wüteten weniger heftig als sonst. Die Bevölkerung wurde nicht durch Sterblichkeit dahingerafft, wie es im übrigen zu sehen war. In dieser Stadt allein wohnten die Leute unter ganzen Dächern, während in den benachbarten Städten und Dörfern die Häuser in Asche gesunken waren oder nur noch Kohlen an Stelle der Balken zeigten. Auch war die Zahl der Bürger größer, wie ich schon sagte, und nicht wie anderswo durch die Pest verringert. Es empfing diese Statue Ehrungen von den Bürgern. Diese mehrte im Jahre 1649 ein Priester unserer Gesellschaft, der Pfarrprediger der benachbarten Stadt Freiburg, aufs wirksamste. Als er gerade dort durchreiste und den Rat beisammen fand, gewann er ihn für eine Rosenkranzvereinigung. Bei den Dominikanern in Freiburg brachte er die Angelegenheit so in Gang, daß die Bruderschaft im folgenden Jahre eröffnet wurde.
Die nächsten Städte und Ortschaften strömten hierher, als zu einem Mittelpunkt aller Frömmigkeit, und sie empfingen Guttaten von Maria, so daß jetzt das Bild verdientermaßen noch mehr unter die Wundertätigen gezählt werden kann als früher. Ich selbst bin an Ort und Stelle gewesen, habe die Statue gesehen und, was ich schrieb, von Mitgliedern des Rates erfragt. Auch die Geistlichen vesicherten, Urkunden davon zu haben." Dieser Bericht kingt glaubwürdig, da er von einem Manne stammt, der sich im Groß-Elsaß, wie das ganze Oberrheingebiet genannt wurde, umgesehen hatte. Gumppenberg ist es wohl kaum gewesen, er hat den Bericht eines Ordensgenossen erhalten und wörtlich verwertet. Es erbürigt sich, den Inhalt der Protokolle zu kennen, die vor dem Stadtrat Endingen mit den vereidigten Zeugenaussagen niedergelegt worden sind. Die Zusammenfassung der Aussagen der verschiedenen Zeugen führt folgenden einheitlichen Tatbestand uns vor Augen:
Am Abend vor Christi Himmelfahrt 1615 zwischen 5 und 6 Uhr begab sich Anna Lonerin, die Stubenmutter der Handwerksgesellen, mit dem Bürgermeister Matthäus Stegmeier in die Obere Kirche, um durch ihn die Weite des Kranzes für die Engel, das Frauenbild und das Jesuskind messen zu lassen, da sie den alten zur Prozession durch einen schöneren (Kranz) ersetzen wollte. Als sie vor dem Altar Unserer Lieben Frau standen, sahen sie, wie ihr Bildnis im Antlitz ganz feucht war. Weil sie meinten, es könnten Tropfen von Weihwasser sein, stieg sie auf den Altar, um den Kranz des Christkindes zu messen, und gewahrte nun in nächster Nähe, daß die Wassertropfen je länger desto dichter und häufiger flossen. Auch von der linken Wange des Jesuskindes strömten Tränen herab zum Kinn und vereinigten sich mit denen der göttlichen Mutter. Sofort rief man den Mesner herbei, der gerade das Bild der Heiligen Katharina auf das Fest zubereitete. Die Tränen, welche der Sigrist auf dem Bilde glänzen sah, wischte er mit seinem Finger ab und trocknete sie weiter am Altartuch. Allein sofort kamen weitere neue Tropfen am Angesicht der Mutter und des Kindes zum Vorschein, es wurde ganz davon übergossen. Jetzt rief man den Pfarrherrn und den unteren Kirchenpfleger Balthasar Wälde, der mit seiner Frau und noch vielen Leuten kam.
Der Pfarrer wischte mit einem weißen Tüchlein das Bildnis ab, allein gleich drangen wieder Schweißtropfen hervor, wie bei einem Menschen, der im Todeskampfe liegt. Gleich holte man den Dekan herbei, der sich auch von dem Ereignis überzeugte. Es wurde jemand aufs Dach geschickt, um zu sehen, ob nicht von oben Flüssigkeit herabträufle, doch es war oben vollständig trocken. Der Pfarrer und Martin Dirr, ein Ratsherr, machten nun mit Weihwasser die Probe. Sie besprengten die Statue des heiligen Sebastian damit, das sei aber gleich herabgeflossen und blieb nicht haften, wie die Tropfen im Angesicht des Frauenbildes und des Jesuskindes. Zeuge Meister Hans Isenhart fügt der Erzählung noch den Umstand bei, es habe gegen Abend die Sonne gar schön auf den Altar geschienen, als er die Wassertropfen im Antlitz Unserer Lieben Frau und des Kindleins erglänzen sah. Nach einer Stunde verzogen sich dieselben wieder. Als Zeuen werden im Protokoll noch angegeben die beiden Pfarrherren von Endingen, Matthäus Vetcher, Dekan des Kapitels Endingen und Georg Saub, Altrichter Kaspar Stirner, Altbürgermeister Sebastian Bauer, Stadtschreiber Georg Herrmann, Hans Ulmann Schlosser, auch viele andere ehrliche Leute mehr, die mit großer Verwunderung und Schrecken das Wunder sahen. Bald darauf erschien darüber eine Schrift im Drucke, welche die Bewohner Endingens mit Rücksicht auf diese Tränen zur Buße und Lebensbesserung aufforderte. Und zugleich wurde ein Lied entworfen, das am Vorabend des Christi Himmelfahrt-Festes auch heute noch bei der abendlichen Feier gesungen wird:
(Fortsetzung und Schluß im Teil 2)
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