Freitag, Februar 24, 2006

Die Entstehung des Wallfahrtsortes DREI-ÄHREN - Trois Epis

Text und Bilder von P. Kauffmann, 1925, Editions "ALSATIA", Colmar
Auf dem fast 700 Meter hohen Bergrücken, zu dessen Füßen das mittelalterliche Städtchen Türkheim liegt, erhebt sich die schöne Wallfahrtskirche und das Kloster Drei-Ähren. Dieser Teil der Vogesenkette, zwischen dem Münstertal und dem Kaysersbergertal, hieß früher "Halbthal". Diese Benennung befindet sich schon in einer Urkunde aus dem fünfzehnten Jahrhundert, welche über die Entstehung des berühmten Wallfahrtsortes berichtet. Der Platz selber, auf welchem die jetzige Wallfahrtskirche steht, wurde früher "der Platz zum toten Mann" genannt.
Folgende Begebenheit soll, dieser Urkunde zufolge, Anlaß zu obiger Benennung gegeben haben. Einige Monate vor dem Ereignis, von welchem nachher die Rede sein wird, sammelte ein armer Einwohner von Ammerschweier, im Walde, an der Stelle des jetzigen Wallfahrtsortes, Heilkräuter, die er an die Arzneikundigen der umliegenden Ortschaften und an die Apotheker der naheliegenden Stadt Colmar verkaufte. Er bediente sich zu diesem Zwecke einer Sichel. Eines Tages wollte er am Ort, wo heute das Chor der Wallfahrtskirche steht, eine an einem Eichbaum längende Schnecke mit seiner Sichel töten. Durch einen unglücklichen Schlag, den er mit seiner Sichel führte, verletzte er sich aber so schwer am Halse, daß er verblutete und eines schnellen Todes sterben mußte. Einige Tage nachher fand man seine Leiche. Die Schnecke aber, welche dem Unglücklichen zum Verhängnis wurde, war noch an der Sichel aufgespießt.
Die trauernde Familie setzte dem Verstorbenen ein Leichendenkmal einfachster Art. Sie nagelte an den Stamm der Eiche ein "Täfelin" mit dem Bild des gekreuzigten Heilandes, um so die Vorübergehenden an ein fürbittendes Gebet zu Gunsten des armen Verunglückten zu mahnen.
Dieses Christusbild, in stiller Waldeinsamkeit, und die Gepflogenheit der Vorübergehenden, ein kleines Gebetlein zu verrichten, sollte bald der Gottesmutter Gelegenheit geben, ein ernstes Wort zu ihrem undankbaren Volk zu sprechen. An der Stelle, wo die Eiche stand, kreuzten sich die Wege, die von Labaroche und Urbeis (Orbey) nach Niedermorschweier, Katzenthal, Türkheim, Ammerschweier und Kienzheim führten.

Am 3. Mai nun, am segensreichen Tag von Kreuzerfindung, das so sehr an das Leiden des göttlichen Heilandes erinnert, ritt der Schmied Dietrich Schöre, wie die Urkunde aus der damaligen Zeit berichtet, von Urbeis nach Niedermorschweier, um auf dem dortigen Markt einen Sack Getreide zu kaufen. Am Bilde des Eichbaumes angekommen, - es war zehn Uhr Morgens, - versäumte er nicht, von seinem Pferde abzusteigen, und knieend ein frommes Gebet für die Seelenruhe des armen Verunglückten zu verrichten. Er war mit seinem Gebet noch nicht zu Ende, da ward er plötzlich von einem hellstrahlenden Licht, weit glänzender als Sonnenlicht, wie geblendet. Und siehe, o Wunder, mitten in diesem Strahlenkranz erschien ihm die allerseligste Jungfrau Maria; sie trug ein hellglänzendes Gewand und einen weißen Schleier. In der einen Hand hielt sie drei Ähren, die aus einem Halme hervorsprossen, in der andern Hand aber einen Eiszapfen. Voll Sanftmut und Milde fing sie an zu reden und verküdete dem erschrockenen Schmied ihren himmlischen Auftrag: "Lieber Freund", hob sie an, mit feierlicher Stimme, "höre was ich dir verkünden will. Die Sünden und Vergehen der ganzen Umgegend sind so groß, daß sie den Zorn und die Strafen des allmächtigen und gerechten Gottes herausfordern. Dieser Eiszapfen deutet darauf hin, wie dieser gerechte Gott die Früchte der Erde durch Frost und Hagel verderben und die Menschen selber mit ansteckenden Krankheiten heimsuchen will. Drum gehe hinab nach Morschweiler (damaliger Name des Ortes) und verkünde den Leuten Gottes Strafgerichte; sage ihnen, sie mögen ihre Sünden bereuen, Buße tun, andächtige Bittprozessionen halten, von ihrem Sündenleben ablassen, und auch ihren Nachbaren meine Worte mitteilen, sonst wird Gottes Strafe sicherlich nicht mehr lange ausbleiben. Als Zeichen dieser Buße sollen sie an diese Stelle kommen, die ich mir als Wohnstätte auserkoren habe; hier sollen sie mir ihre Gebete und ihre Huldigungen darbringen. Aus besonderem Mitleid habe ich für sie bei meinem Sohne Fürbitte eingelegt, so daß er ihnen, wie dies die Ähren, die du in meiner Hand siehst, andeuten, die Nachlassung der angedrohten Strafen gewähren, und ihre Felder reichlich segnen will". Zitternd erwiderte der Schmied: "Ach, liebe Frau, ich fürchte, die bösen Menschen werden meinen Worten keinen Glauben schenken". Doch die himmlische Botin versicherte ihm: "Erkläre ihnen die Bedeutung dieser Wahrzeichen, die ich in meinen Händen trage, und viele werden deinen Worten glauben".
Nach diesen aufmunternden Worten verschwand das Licht, und mit ihm die himmlische Gestalt. Zitternd vor Angst und innerer Aufregung begab sich Schöre zu seinem Pferde, das inzwischen am Wegrande geweidet hatte, und schlug den Weg nach Morschwiler ein. Während des Weges erwog er, ob er den ihm gewordenen Auftrag verkünden solle oder nicht. Wie werden die Dorfbewohner seine Aussagen aufnehmen, wird er sich nicht ihrem Gelächter und ihrem Spott aussetzen; im gegenteiligen Falle aber werden nicht durch sein Schweigen alle die angedrohten Strafen über ihn und über die ganze Umgegend hereinbrechen. Aus törichter Angst, ausgelacht zu werden, beschloß endlich der Schmied, die ganze Sache zu verschweigen. In seinem Beschlusse verharrend, war er unterdessen in Niedermorschweier angekommen. Viel Volk hatte sich auf dem Markt eingefunden. Leute aus der Umgegend und aus allen Ständen waren zugegen, besprachen den Preis der Waren, unterhielten sich über die Ereignisse der Zeit. Dietrich überließ sein Pferd einem ihm bekannten Knaben, begab sich auf den Getreidemarkt, wo mehrere Säcke Gertreide zum Verkauf angeboten waren. Bald war er um einen Sack Getreide mit einem Verkäufer einig geworden. Er holte sein Pferd herbei, und schickte sich an, den Sack dem Tiere aufzuladen. Doch, siehe, es wollte ihm nicht gelingen, ihn von der Stelle zu heben. Ein zweites Mal strengte er sich an, aber auch diesmal ohne Erfolg. Verschiedene vorübergehende Markleute, Zeugen seiner vergeblichen Bemühungen, blieben erstaunt stehen, und konnten sich die erfolglosen Anstrengungen des so kräftig gebauten Mannes nicht erklären. Dietrich Schöre war selber nicht weniger erstaunt. Noch einmal erprobte er seine Kräfte; dicke Schweißtropfen standen auf seiner Stirn, alle Mühe war vergeblich. Immer mehr drängte sich die neugierige Menge an ihn heran, besprach das seltsame Ereignis, ohne sich dessen Ursache erklären zu können. Mehrere Bürger wollten dem Schmiede nun behilflich sein, zwei, drei, vier, der kräftigsten unter ihnen griffen ein; man versuchte sogar, mit Hülfe eines Hebels den Sack von der Stelle zu bringen. Es gelang nicht. Die Zahl der Zuschauer vermehrte sich zusehends und bereits hatte sich die Kunde von dem seltsamen Vorfall, wie ein Lauffeuer, in der ganzen Ortschaft verbreitet. Von allen Seiten lief man herbei. Die Bestürzung der herbeigeeilten Menge wurde immer größer. Die Leute besprachen und erklärten verschiedentlich den eigenartigen Vorfall. Die klügsten unter ihnen standen nicht ab zu behaupten, daß der böse Feind die Hand im Spiel habe, und daß dem Schmied von einer Hexe irgend Schlimmes zugedacht und widerfahren sei.

Fortsetzung siehe hier!

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