zu Teil 1:)
Dietrich Schöre wurde immer bedenklicher; ihm wurde es allmählich klar, was das Ereignis zu bedeuten habe, er wurde nach und nach sich dessen Ursache bewußt. Jetzt erinnerte er sich aller Einzelheiten der himmlischen Erscheinung, die er vor einigen Stunden gehabt hatte; Gewissenbisse fingen an ihn zu ängstigen und zu plagen; die Schamröte ob seines unbotmäßigen, feigen Verhaltens stieg ihm ins Gesicht; tiefe innere Reue überkam ihn. Inzwischen hatten sich die Geistlichen der Ortschaft, sowie die weltiche Behörde und die angesehensten Bürger auf dem Marktplatz eingefunden. Länger konnte der Schmied mit seinem Geständnis nicht zurückhalten. "Verkünde ihnen", so hallte es immer wieder in seinem Gewissen. Plötzlich sank er in die Knie, entblößte sein Haupt und rief mit lauter Stimme: "Gütige Gottesmutter, verzeih mir mein Vergehen und diesen meinen Ungehorsam." Von den Behörden befragt, erzählte er der umstehenden Menge alle Einzelheiten der himmlischen Erscheinung und betonte insbesondere die Klagen der Gottesmuttter über den sündhaften Lebenswandel der Bewohner und ihre Mahnung zur Buße. Er versicherte ausdrücklich, diesen Auftrag von der allerseligsten Jungfrau erhalten zu haben, deutete ihnen die Wahrzeichen, die sie in den Händen trug, welche den Schuldigen schwere Strafen ankündigte, den Reumütigen hingegen Verzeihung und Gottes Lohn und Segen in Aussicht stellte. Zur Bekräftigung dieser seiner Botschaft machte er sie auf das wunderbare Ereignis aufmerksam, das ihn selber zum Sprechen genötigt habe und das nun auch sie als wunderbare Bestätigung seines ihm gewordenen Auftrages betrachten sollen.
Bestürzt hörte die umstehende Menge den Ausführungen des Schmiedes zu. In den Herzen vieler regte sich allmählich das Gefühl tief empfundener Reue, welche in ihren niedergeschlagenen Blicken und ängstlichen Zügen zum Ausdruck kam. Männer und Frauen fingen an zu weinen, knieten nieder und baten reumütig zu Gott um Verzeihung. Andere berührten ehrfurchtsvoll die Kleider des Boten der Himmelskönigin.
Niemand wagte es, die Aussagen des Schmiedes zu bezweifeln. Dietrich Schöre war übrigens den Bewohnern von Morschweiler kein Unbekannter; über seine aufrichtige und ehrliche Gesinnung waren alle, die ihn kannten, ein und derselben Meinung. Übrigens war der vergangene Winter mit seinen Entbehrungen noch bei allen in schmerzlicher Erinnerung.
Eine Urkunde von Thann und andere aus derselben Zeit berichten von dem strengen Winter der im Jahre 1490 -1491 im Lande herrschte. Er war einer der kältesten, den man jemals erlebt hatte, auch wurde das Land von großen Überschwemmungen heimgesucht. Eine große Hungersnot war die Folge davon, und viele Leute sahen sich genötigt, von weit her sich das nötige Getreide zu verschaffen. Somit erklärt sich denn auch, warum der Schmied Schöre von Urbeis bis nach Niedermorschweier kommen mußte, um seinen Bedarf an Getreide zu decken. Es sei noch beigefügt, daß Urkunden von Urbeis, die heute noch in den Archiven von Colmar erhalten sind, schon im Jahre 1442 von der Familie Schöre berichten.
Dietrich Schöre erfreute sich in seinem Heimatsdorfe eines guten Leumundes; selbst die angesehensten Bürger zollten ihm ihre Hochachtung. Er galt als kluger und gescheiter Mann, war keineswegs abergläubig und nicht von übertriebener Religiosität. Seine Handlungsweise, wie wir sie soeben geschildert haben, zeugt von Ehrlichkeit und Gewissenhaftigkeit. Die Wahrheit seiner Aussage fand sich übrigens in vollem Maße bestätigt durch das wunderbare Ereignis, das sich auf dem Marktplatz zugetragen hatte. Als er mit seiner Erzählung zu Ende war, atmete der Schmied erleichtert auf; innere Seelenruhe strahlte jetzt aus seinen Zügen. Doch zögernden Schrittes nährte er sich dem Sack. Zitternd faßte er ihn an, das Herz pochte beklemmt in seiner Brust. Endlich faßte er Mut, packte an, und siehe o Wunder, ohne allzugroße Anstrengung hob er den Sack in die Höhe und trug ihn leichten Schrittes, als hätte er ein kleines Kind auf seinen Armen, bis zu dem Pferde, dem er nun die Bürde hinter dem Sattel aufschnallte.
Die begeisterte Menge jubelte ihm zu. Dietrich Schöre, wohl der glücklichste von allen, bestieg sein Pferd, die Bewohner der Ortschaft gaben ihm das Geleite bis zum Ausgang des Dorfes, wo Schöre sich von ihnen verabschiedete.
An der Eiche, wo ihm in der Morgenstunde die himmlische Erscheinung geworden war, angekommen, stieg er von seinem Pferde, kniete nieder und verrichtete ein inniges Gebet zur Gottesmutter, um dann wohlgemut und fröhlich nach Urbeis zurückzukehren.
Die Geschichte der Erscheinung der Mutter Gottes von Drei-Ähren ist übrigens in einer Urkunde aus dem Jahre 1656 niedergeschrieben. Sie befindet sich im dortigen Kloster. Es ist ein gebundenes Buch mit goldenem Schnitt und mit vergoldeten Schließhaken versehen. Ihr Verfasser ist vermutlich Pater Buchinger, der berühmte Abt der Abtei Pairis bei Orbey. Es führt den Tiel "liber miraculorum", d.h. "das Buch der Wunder", erzählt die Entstehung des Wallfahrtsortes und berichtet von den vielen Wundern, welche die Gottesmutter, in Anhörung der Gebete der frommen Pilger, dort gewirkt hat.
Von dieser Zeit an bekundeten die Einwohner von Niedermorschweier reumütige Gesinnung, nahmen sich die Belehrungen und Mahnungen ihres Seelsorgers mehr zu Herzen, veranstalteten öfters Bittprozessionen nach Drei-Ähren und nach dem benachbarten Kienzheim, wo auch seit 1466 eine Wallfahrt besteht.
Schon im Jahre 1491 errichteten sie mit Hilfe der Einwohner von Urbeis an der Stelle, wo die Gottesmutter dem Schmied Schöre erschienen war, und zwar vor der Eiche, an welcher das Christusbild angebracht war, eine aus Holz gezimmerte Notkapelle. Diese Kapelle wurde unter dem Namen "Unsere Liebe Frau von Drei-Ähren" eingeweiht.
In ihr befand sich nur ein kleiner Altar mit einem kleinen Muttergottesbild. Sie stand offen bei Tag und Nacht, da man von Dieben nichts zu fürchten hatte.
Soviel über die Entstehung des Wallfahrtsortes. Später erhielt auch der "Platz zum toten Mann" wie die Wallfahrtskirche selber den Namen Drei-Ähren.
Immer zahlreicher kamen die Bewohner aus der Umgegend, besonders diejenigen von Niedermorschweier und Urbeis in Prozessionen zur Gnadenstätte, welche sich die Gottesmutter auf dieser lieblichen Bergeshöhe erhoren hatte. Trotzdem die aus den verschiedensten Teilen des Landes herbei strömenden Pilger zum Teil sich der elsäßischen, zum Teil sich der altfränkischen oder welschen Mundart bedienten, waren sich doch stets als gläubige und fromme Christen ein Herz und eine Seele, um der Himmelsmutter ihre Huldigungen darzubringen.
Schon im Jahre 1493 wurde an Stelle der kleinen Kapelle eine größere aus Stein errichtet. Ein Einsiedler und ein Kaplan versahen den Gottesdienst und waren mit der Unterhaltung und der Aufsicht des Heiligtums betraut. Der Wallfahrtsort wurde immer berühmter. Aus allen Teilen des Elsaßes, ja sogar aus Frankreich und dem Ausland fanden sich Pilger zu den Füßen der Gnadenmutter von Drei-Ähren ein. Eine eigene Herberge mußte für die fremden Pilger errichtet werden. Während des ganzen sechzehnten Jahrhunderts war der Wallfahrtsort stark besucht. Im dreißigjährigen Kriege wurde er durch die österreichischen Landsknechte zerstört, erstand aber nach kurzer Zeit aus seinen Ruinen. Das jetzige Kloster wurde erst später an die Wallfahrtskirche angebaut und im Laufe der Jahrhunderte von Ordensleuten verschiedener Kongregationen bezogen. Schlimme Tage kamen im Laufe der Zeit über das Kloster und die Wallfahrtskirche. Heute erfreut sich Drei-Ähren eines immer mehr zunehmenden Besuches frommer Pilger. Das Kloster beherbergt jetzt Patres, Novizen und Zöglinge der Kongregation der Redemptoristen. Die kleine Muttergottesstatue, die in der Wallfahrtskapelle als Gnadenbild verehrt wird, stellt die schmerzhafte Muttergottes dar, wie sie den vom Kreuze abgenommenen Leichnam ihres Sohnes in ihren Armen hält. Das Bild stammt aus dem 15. Jahrhundert und war bestimmt, das verwitterte Christusbild der Eiche zu ersetzen, vor welchem Dietrich Schöre einst betete.
Später wurde das Muttergottesbild auf den Hochaltar der Wallfahrtskapelle angebracht, wo früher die erwähnte Eiche "vom Platz zum toten Mann" gestanden haben soll.
Während des großen Völkerkrieges von 1914 brachten die Redemptoristenpatres das Gnadenbild in die Pfarrkirche von Ammerschweier, um es von den Verwüstungen des Krieges, die dem Wallfahrtsort selber drohten, zu beschützen.
Nach Friedensschluß am 24. Mai 1919 wurde die kostbare Statue in feierlichem Triumphe unter Begleitung tausender von Pilgern, die von nah und fern herbeigeeilt waren, wieder in die Wallfahrtskirche zurückgetragen.
Dies ist in kurzen Worten die Entstehung des Wallfahrtsortes Drei-Ähren, wie sie in den Urkunden der damaligen Zeit beglaubigt ist.
P. Kauffmann.
Das uns vorliegende Heft war - laut Inschrift - Eigentum des Knopf Eugen
Siese auch dieses Gebet!
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